Die volle Wahrheit
hörte den Ruf und schickte den Bediensteten der
Nachtschicht zum Tor.
Er bemerkte den Namen. Er nahm das Motto mit einem Lächeln zur
Kenntnis.
Er las die Worte:
ES IST DER KÄLTESTE WINTER
SEIT MENSCHENGEDENKEN. UND
DAS IST AMTLICH.
Dr. Fettel Befindmichgut (132) von der Un-
fichtbaren Universität sagte gegenüber der
Times: »Es ist so kalt, wie ich mich zurücker-
innern kann. Meine Güte, heute sind die
Winter nicht mehr das, was sie in meiner Ju-
gend ^waren.«
An hohen Dachrinnen hat man ellenbogen-
lange Eiszapfen gesehen, und viele Brunnen
sind zugefroren.
Dr. Befindmichgut (132) meint, dieser Win-
ter sei noch schlimmer als der von 1902, als
Wölfe in die Statt kamen. Er fügte hinzu:
»Und wir waren froh darüber, denn schon
seit zwei Wochen hatten wir kein frisches
Fleisch mehr.«
…
Herr Josia Wintler (45), Streitaxtstraße 12b,
hat %eine lustig geformte Karotte, die er
Neugierigen gegen ein kleines Entgelt zeigt.
Sie ist sehr drollig.
…
Herr Klärens Harri (39) möchte der Öffent-
lichkeit mitteilen, dass er seine wertvolle Uhr
verloren hat, vermutlich unweit der Tollen
Schwestern. Belohnung für den Finder. Bitte
im Büro der Times melden.
…
Diese Zeitung suchd einen Ikonographen
miet eigener Ausrüstung. Anfragen im Büro
der Times, bei der Taverne › Eimer ‹.
…
Ein Bösewichd stahl gestern Nachmittag
beim Juwelier H. Klunker und Sohn,
Nichtsostraße, Silber im Wert von mehr als
200 $. Herr Klunker (32), der mit einem
Messer bedroht wurde, sagte der Times: »Ich
würde den Mann bestimmt wiedererkennen,
wenn ich ihn sähe, denn nicht viele Leute
haben sich einen Sdrumpf über den Kopf
gezogen.«
Und Lord Vetinari lächelte.
Und jemand klopfte leise an die Tür.
Und er sah auf.
»Herein«, sagte er.
Nichts geschah. Nach einigen Sekunden wiederholte sich das leise
Klopfen.
»Herein!«
Und wieder folgte bedeutungsvolle Stille.
Und Lord Vetinari berührte eine ganz normal wirkende Stel e seines
Schreibtischs.
Und eine lange Schublade schob sich aus vermeintlich massivem
Nussbaumholz, so geräuschlos, als glitte sie über Öl. Sie beinhaltete
einige dünne Gegenstände, die auf schwarzem Samt lagen. Ihre Be-
schreibung hätte sicher das Wort »scharf« enthalten.
Und er wählte ein Objekt und hielt es ruhig in der Hand, als er lautlos
den Raum durchquerte, den Knauf der Tür drehte und rasch zur Seite
sprang, fal s sie aufgestoßen werden sol te.
Nichts dergleichen geschah.
Aufgrund einer Unregelmäßigkeit der Angeln schwang die Tür lang-
sam nach innen.
Herr Schmitzenmacher glättete die Zeitung. Die Personen am Früh-
stückstisch hatten sich bereits damit abgefunden, dass ihm die Zeitung
nicht nur gehörte, weil er sie kaufte, sondern dass er auch ihr Priester
war, der ihren Inhalt den Massen verkündete.
»Hier steht, dass jemand in der Streitaxtstraße eine lustig geformte
Karotte hat«, sagte er.
»Die würde ich gern sehen«, ließ sich Frau Arkanum vernehmen. Et-
was weiter unten am Tisch ertönten erstickte Geräusche. »Ist al es in
Ordnung, Herr de Worde?«, fragte sie, als Herr Flach diesem auf den
Rücken klopfte.
»Ja, ja, alles bestens«, keuchte William. »Entschuldigung. Hab mich
am Tee verschluckt.«
»In dem Teil der Stadt ist der Boden recht gut«, meinte Herr Wagen-
bauer, Vertreter für Saatgut.
William konzentrierte sich verzweifelt auf sein Brötchen, während
über ihn hinweg al e Neuigkeiten mit der Sorgfalt und Verehrung für
gesegnete Reliquien präsentiert wurden.
»Jemand bedrohte einen Ladeninhaber mit einem Messer«, fuhr Herr
Schmitzenmacher fort.
»Bald ist man in seinem eigenen Bett nicht mehr sicher«, kommentier-
te Frau Arkanum.
»Ich glaube nicht, dass dies der kälteste Winter seit hundert Jahren
ist«, sagte Herr Wagenbauer. »Der vor zehn Jahren war noch schlim-
mer, da bin ich ganz sicher. Er wirkte sich katastrophal auf mein Ge-
schäft aus.«
»Es steht in der Zeitung«, betonte Herr Schmitzenmacher im ruhigen
Tonfal eines Mannes, der einen Trumpf ausspielt.
»Du hast da eben einen seltsamen Nachruf vorgelesen«, meinte Frau
Arkanum. William nickte stumm, während er sein gekochtes Ei aß. »Es
ist sicher alles andere als üblich, von den Dingen zu sprechen, mit de-
nen jemand seit seinem Tod beschäftigt gewesen ist.«
Herr Langschacht, Zwerg und in der Schmuckbranche tätig, griff
nach einer weiteren Scheibe Brot.
»Es gibt so’ne und
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