Die volle Wahrheit
Stille.
»Meine letzte Quittung verliert ihre Gültigkeit erst in zwei Monaten«,
teilte Wil iam der Dunkelheit mit. »Und ich möchte darauf hinweisen,
dass die Messer und Gabeln des Gratis-Bestecks keineswegs aus rost-
freiem Edelstahl waren. Es schien vielmehr eine Mischung aus Blei und
Pferdedung zu sein.«
»Ich bin kein Dieb, Freund«, sagten die Schatten.
»Wer bist du dann?«
»Weißt du, was gut für dich ist?«
»Äh… ja. Körperliche Ertüchtigung, regelmäßige Mahlzeiten und er-
holsamer Schlaf.« Williams Blick reichte über die lange Boxenreihe
hinweg. »Ich schätze, du wol test fragen, ob ich weiß, was schlecht für
mich ist – im Kontext von stumpfen Gegenständen und scharfen
Schneiden.«
»Im Großen und Ganzen. Nein, beweg dich nicht. Bleib dort stehen,
wo ich dich sehen kann. Dann passiert dir nichts.«
William analysierte diese Worte. »Ja, aber wenn ich dort stehe, wo du
mich nicht siehst, kann mir ebenfal s nichts passieren.«
Jemand seufzte. »Wenn du mir bitte auf halbem Wege entgegenkom-
men könntest… Nein! Beweg dich nicht!«
»Aber du hast doch gesagt…«
»Bleib da stehen und sei still, hör mir zu, in Ordnung?«
»Meinetwegen.«
»Wie ich hörte, gibt es da einen gewissen Hund, der gesucht wird«,
sagte die geheimnisvolle Stimme.
»Ah. Ja. Die Wache sucht ihn, ja. Und…?« William glaubte, in der
Finsternis die Konturen einer dunklen Gestalt zu erkennen. Und ein
bestimmter Gestank berührte seine Nase und überlagerte sogar den
ziemlich starken Geruch der Pferde.
»Ron?«, fragte er.
» Klinge ich vielleicht wie Ron?«, erwiderte die Stimme.
»Nicht… unbedingt. Mit wem rede ich?«
»Nenn mich… Tiefer Knochen.«
» Tiefer Knochen ?«
»Hast du irgendetwas dagegen einzuwenden?«
»Nein. Nun, was hast du für ein Anliegen, Herr Knochen?«
»Angenommen, jemand weiß, wo sich der Hund aufhält, möchte aber
nichts mit der Wache zu tun bekommen«, sagte Tiefer Knochen aus
dem Dunklen.
»Warum nicht?«
»Sagen wir, die Wache könnte einer bestimmten Art von Person Är-
ger bereiten. Das ist ein Grund.«
»Na schön.«
»Nehmen wir weiterhin an, gewisse Leute wollen verhindern, dass der
Hund ausplaudert, was er weiß. Die Wache gewährt ihm vielleicht nicht
genug Schutz. Die Wächter sind recht achtlos, was Hunde angeht.«
»Tatsächlich?«
»O ja. Die Wächter glauben, ein Hund hätte keine Menschenrechte.
Das ist ein zweiter Grund.«
»Gibt es auch einen dritten?«
»Ja. Ich habe in der Zeitung von einer Belohnung gelesen.«
»Ah. Ja?«
»Allerdings war ein Druckfehler dabei. Es hieß fünfundzwanzig Dol-
lar anstatt hundert.«
»Oh, ich verstehe. Aber hundert Dol ar sind viel Geld für einen Hund, Herr Knochen.«
»Nicht für diesen Hund, wenn du verstehst, was ich meine«, erwider-
ten die Schatten. »Dieser Hund hat eine Geschichte zu erzählen.«
»Ach, ja? Handelt es sich um den berühmten sprechenden Hund von
Ankh-Morpork?«
Tiefer Knochen knurrte. »Hunde können nicht sprechen. Das ist all-
gemein bekannt. Aber gewisse Leute verstehen die Hundesprache.
Muss ich noch deutlicher werden?«
»Meinst du Werwölfe?«
»Vielleicht meine ich solche Burschen, ja.«
»Aber der einzige Werwolf, von dem ich weiß, gehört zur Wache«,
sagte William. »Soll ich dir etwa hundert Dollar bezahlen, damit ich
Wuffel der Wache ausliefern kann?«
»Dann hättest du beim alten Mumm sicher einen Stein im Brett«, ent-
gegnete Tiefer Knochen.
»Aber eben hast du gesagt, dass du der Wache nicht traust, Herr
Knochen. Ich höre, was die Leute sagen, weißt du.«
Tiefer Knochen schwieg eine Zeit lang. Dann sagte er:
»Na schön, den Hund und einen Dolmetscher für hundertfünfzig
Dollar.«
»Und die Geschichte, die der Hund zu erzählen hat, betrifft das Ge-
schehen im Palast vor einigen Tagen?«
»Vielleicht. Es wäre durchaus möglich. Ja, vielleicht geht es genau darum.«
»Ich möchte sehen, mit wem ich rede«, sagte William.
»Ausgeschlossen.«
»Oh, gut «, erwiderte William. »Wie beruhigend. Ich besorge hundert-fünfzig Dollar, kehre hierher zurück und gebe dir das Geld, einfach
so?«
»Gute Idee.«
»Kommt nicht in Frage.«
»Oh, du traust mir also nicht«, bemerkte Tiefer Knochen.
»Du hast es erfasst.«
»Äh… angenommen, ich gebe dir eine kleine Gratis-Information, völ-
lig umsonst. Eine Kostprobe, sozusagen.«
»Ich bin ganz Ohr…«
»Es war nicht Vetinari, der den anderen Mann niedergestochen
Weitere Kostenlose Bücher