Die vollkommene Lady
„Ich muß
zugeben, ich war sehr neugierig.“
„Neugierig?“ fragte Julia erstaunt. „Worauf
denn nur?“
„Auf das, was unser Freund Relton
bemerkte, als wir losfuhren“, erwiderte Sir William. „Eine Ohrfeige hätte er
sich eigentlich damit verdient.“
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D ie letzte Äußerung von Julias
selbständigem und freiem Willen, bevor sie ihn endgültig und freudig dem von
Sir William unterordnete, war die, ihn zu überreden, die Verlobung nicht gleich
bekanntzugeben. Sir William wollte, wie es seine Gewohnheit war, auch diese
Angelegenheit möglichst schnell zu dem von ihm gewünschten Ende bringen. Er
wollte eine Anzeige in den „Times“ aufgeben, die Packetts informieren und Julia
sofort heiraten. Das Programm war zwar sehr schmeichelhaft für Julia, und sie
sehnte sich nach dem Tag, an dem es durchgeführt werden konnte, aber sie hielt
ihn nichtsdestoweniger davon zurück. Sie fürchtete die Folgen — und nicht nur
Bryans wegen. Sie hatte das unangenehme Gefühl, daß die Packetts es einfach
nicht glauben würden. Sie würden wahrscheinlich denken, Sir William sei
plötzlich verrückt geworden und sie nutze die Situation aus.
Als sie Sir William ihre Befürchtungen
mitteilte, wurde er, sehr zu ihrem Erstaunen, recht ärgerlich. „Meine liebe Julia“,
sagte er mit großer Bestimmtheit, „wenn du keinen anderen Einwand hast, dann
gehe ich jetzt gleich ins Billardzimmer und sage es ihnen. Das dürfte der
einfachste Weg sein, dir deine Dummheit klarzumachen.“
Julia sprang auf — sie saßen auf ihrem
Lieblingsplatz zwischen den Weinstöcken — und faßte seinen Arm. „Du darfst
nicht, William! Noch nicht! Meinetwegen bin ich ein Idiot, oder was du willst,
aber es ist ja nicht nur das. Ich muß doch auch an Susan und Bryan denken, die
Sache muß ich zuerst in Ordnung bringen.“
„Die ordnet sich von allein“,
entgegnete Sir William. „Die ordnet sich zu aller Zufriedenheit. Der junge Mann
kommt langsam dahinter, wer Susan eigentlich ist, und Susan — die ihn schon
längst erkannt haben muß — fängt endlich an zu begreifen, daß sie ihn nie wird
ändern können. In ein paar Wochen, oder eher noch, wenn sie nach London fährt,
wird der Fall zu den Akten gelegt sein.“
Julia drückte seinen Arm noch fester. „Eben,
gerade deshalb ist es jetzt so wichtig, daß sie durch nichts in ihren
gegenseitigen Entdeckungen gestört werden. Der Klub wirkt ja schon sehr gut —
übrigens auch meine Idee —, aber außerdem hat mein ständiges Gerede auf Bryan
einen Einfluß gehabt, wenn er’s auch nicht zugeben will. Und wenn wir jetzt
plötzlich aus heiterem Himmel heiraten, dann wird er alles vergessen oder in
den Wind schlagen und ihre Anzeige auch an die .Times“ schicken und — und er
bringt’s fertig und fährt nach London, und fängt an, wie ein Wilder zu
arbeiten, nur aus“ — Julia schnappte nach Atem — „nur aus Eigensinn. Wir müssen
die Sache sich in Ruhe entwickeln lassen, William. Du sagst ja selbst, daß es
sich nur noch um ein paar Wochen handeln kann.“
„Und wenn es doch länger dauert!“
fragte Sir William. „Wenn es zwei Monate dauert, zwei Jahre? Hast du vor, uns
unser ganzes Leben lang darauf warten zu lassen, bis zwei junge Narren endlich
Vernunft anzunehmen geruhen?“
„Jetzt bist du dumm“, sagte Julia
gemütlich. „Und die beiden sind durchaus keine Narren, sie sind nur jung. Wenn
du daran zurückdenkst, als du jung warst...“
„Vielen Dank“, sagte Sir William. „Dein
Hauptcharme liegt darin, daß du nicht versuchst, mir zu schmeicheln.“
Julia ließ sich neben seinem Stuhl in
das Gras nieder und sah ihm lange mit offenem Blick ins Gesicht. „Ich will dich
gar nicht jung, mein Liebster. Ich will dich, wie du bist, mit deiner
Erfahrung, mit deinem Verständnis und — und, daß du mit mir fertig wirst. Und
außerdem —“
Sie brach ab mit einem Seufzer tiefsten
Glücks, den Blick noch immer auf seinem Gesicht. Sir William beugte sich
hinunter und berührte ihre Wange. „Und außerdem, meine Liebe?“
„Du siehst so vornehm aus“, sagte Julia
einfach.
Bei diesen Worten ergriff Sir William
ein geradezu lächerliches — wie er sich selber sagte — Gefühl von Freude und
durchströmte ihn wie ein wärmender Trank. Er wußte genau, ohne deshalb eitel zu
sein, daß es mehr als einen guten Grund gab, warum eine Frau in Julias Lage ihn
gern heiraten würde. Und in seinen etwas klareren, nüchterneren Augenblicken —
das heißt, wenn
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