Die Vollstrecker
oben wohnt sie wohl nicht«, bemerkte Suko. »Das sieht alles ziemlich verlassen aus.«
»Jetzt fehlt uns nur noch das Dach.«
Suko runzelte die Stirn. »Wie willst du da hoch?«
»Ich habe einen Zugang gesehen, komm mit.«
»Du bist mal der Boß.«
Am Ende des Flurs schwang ein Seil von der Decke herab. Wäre es zu einer Schlinge geknüpft worden, hätte ich mir dort gut den Hals eines Gehängten darin vors teilen können.
Da dies nicht der Fall war, mußte das Seil eine andere Bedeutung haben. Daneben blieb ich stehen und schaute in die Höhe. Es war an der eisernen Öse einer Luke befestigt, durch die man auf das Dach steigen konnte. Ich zog am Seil und mußte schon etwas rütteln, bis sich die Luke löste. Sie schwang mir entgegen. Zugleich löste sich eine Holzleiter. In einem leicht angerosteten Scharnier schob sie sich nach unten und paßte genau an den Boden.
Ich rüttelte daran, stellte fest, daß sie stark genug war, stieg aber noch nicht hoch, sondern schaute nach oben.
Die Luke malte sich als schwarzes Rechteck ab. Darüber schimmerte es etwas grauer. Ich erinnerte mich, daß die Fenster am Dach nicht so groß waren wie die in den normalen Mauern und deshalb weniger Helligkeit auf das Dach fließen konnte.
Mein Freund blieb wieder zurück und ließ mir den Vortritt. Die Sprossen hielten, und schon bald konnte ich einen ersten Blick auf den Speicher werfen.
Ich war sehr vorsichtig gewesen, weil ich nicht wollte, daß mich plötzlich etwas angriff und mir den Kopf vom Leib schlug.
Ein leerer Dachboden. Nicht einmal Gerümpel stand dort. Ich war schon ein wenig enttäuscht. Wahrscheinlich hatte Purdy Prentiss das Zeug in den Zimmern der ersten Etage verteilt.
»Was siehst du?«
»Nicht viel. Allerdings ist es auch recht dunkel.« Ich stieg den Rest hoch. »Du kannst kommen, Suko.«
Er kletterte mir nach. Ich hatte mich inzwischen aufgerichtet, was ohne Schwierigkeiten möglich war, weil das Dach hoch genug und auch recht spitz war.
Als Suko bei mir eintraf, hatte ich nicht viel mehr gesehen. Durch die kleinen, schrägen Fenster drang das graue Licht des Tages und versickerte sehr schnell. In den Ecken unter der Schräge ballten sich die Schatten. Auf dem geräumigen Speicher breiteten sie sich sogar wie Teppiche auf dem Boden aus, was mir erst beim zweiten Hinsehen richtig auffiel.
Suko war schneller als ich. Kaum hatte er den Dachboden betreten, schaute er sich mißtrauisch um und sprach mich auf die Schatten an.
»Was ist das?«
»Wieso?«
»Auf dem Boden.«
»Schatten…«
Er schüttelte den Kopf. »Das können sie nicht sein, John. Sie sind einfach anders. Ich sehe einfach keine Gegenstände hier, die diese Schatten werfen können.«
»Dann sind sie von allein entstanden – oder?«
»Davon kann man ausgehen.« Er lächelte mich an. »Oder es sind keine Schatten…«
Er hatte genau das richtige gesagt, denn plötzlich bewegten sich die Schatten. Sie hatten bisher flach auf dem staubigen Boden gelegen, nun aber fingen sie an zu zucken, und während ihrer Bewegungen wirbelten sie auch Staub empor. Graue Wolken verteilten sich, sie nebelten den Raum etwas ein, doch nicht so stark, als daß wir nicht hätten sehen können, was da wirklich passierte. Die Schatten flatterten hoch. Es waren auch keine in Bewegung geratene Decken, die unsichtbare Hände in die Luft geschleudert hatten. Wir sahen uns plötzlich mit Lebewesen konfrontiert, die wir auf dieser Erde nicht vermutet hätten.
Schwarze Monstren.
Kleine Köpfe, weit geöffnete Mäuler, breite Flügel oder Schwingen, die sie durch die Luft bewegten, so daß immer mehr Staub in die Höhe wallte. Hinzu kamen die Augen, die uns an rote Blutpunkte erinnerten. Wir hörten das Flattern und Schlagen der Schwingen, als wären lederne Fetzen in Bewegung geraten.
Wir kannten sie, und eigentlich hätten sie längst ausgestorben sein müssen – Myxins schwarze Vampire…
***
Vernichtet durch den Erzfeind, den Schwarzen Tod und seinen Helfern. Ein Irrtum, wie wir jetzt merkten. Wir hatten in unserer Zeit so gut wie nichts mit ihnen zu tun gehabt. Vielleicht waren es Irrläufer, die den Untergang überstanden hatten, oder sie hatten es geschafft, aufgrund einer Zeitreise von der Vergangenheit in unsere Gegenwart zu reisen und sich hier umzuschauen.
Wir brauchten nicht viel zu reden. Beide wußten wir, um was es ging, und wie wir uns zu verhalten hatten. Daß sie schnell waren, obwohl sie äußerlich so plump wirkten, wußten wir ebenfalls,
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