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Die Wacholderteufel

Die Wacholderteufel

Titel: Die Wacholderteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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benannten wir unsere Klinik nach der dortigen Höhenkammer, dem so genannten
Sazellum
. Von der oberen Kapelle hat man einen atemberaubenden Blick. Wir werden Ihnen einen Nachtausflug dorthin anbieten, sobald sich die Schneewolken verzogen und wir einen freien Blick auf die Sterne haben. Sie werden sehen   …» Die Frau verdrehte die Augen in etwas künstlicher Schwärmerei. «Sie werden sehen: Es ist ein Traum!»
    «Ein teuflischer Traum», hörte Wencke ein Flüstern.
    Sie wandte sich um. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass dicht hinter ihr, ebenfalls an die kühle Säule gelehnt, Nina Pelikan stand. Die Hände in den Taschen vergraben, den Blick auf den Boden gesenkt. Beim Abendessen hatten sie sich ganz nett unterhalten, und Wenckes anfängliche Skepsis, ob sie hier überhaupt Kontakte knüpfen wollte, hatte sich erfreulicherweise gelegt. Auch Ninas Sohn Mattis, der mit ihnen am Tisch saß, war ganz in Ordnung. Er war einer von den Jungs, die wahrscheinlich ständig gehänselt wurden. So ein Schwerfälliger, der beim Schulsport stets als Letzter in die Mannschaft gewählt wird und in dessen Anoraktaschen man immer einen Schokoriegel finden würde. Und der zu allem Übel von seiner Mutter auch noch in grässliche Klamotten gesteckt wurde, karierter Hemdkragen unter dem Sweatshirt und Jeans mit aufgekrempelten Hosenbeinen, weil die Kleidergröße im Bund einfach nicht zu der Beinlänge passen wollte. Wencke hatte Spaß, den Knirps zu beobachten, und in seiner Gegenwart entwickelte sie tatsächlich so etwas wie Appetit, merkwürdigerweise auf Ketchupbrot.
    «Hey, Nina. Alles klar?», flüsterte Wencke.
    «Hm?» Nina schien gar nicht bemerkt zu haben, dass Wencke sie beobachtete.
    «Teuflischer Traum?», wiederholte Wencke dann. «Was meinst du denn damit?»
    «Ach, nichts», sagte Nina. Sie warf einen Blick auf die anderen Frauen, insbesondere bei der Besserwisserin rollte sie die Augen. Sie schien eine ähnliche Meinung über die Mischung an völlig fremden Menschen zu haben.
    «Gehen wir los», forderte Viktoria Meyer zu Jöllenbeck und klackerte in ihren Lederschuhen über die Fliesen. «Ich möchte Ihnen den Entspannungspavillon zeigen, wo die Yogaübungen stattfinden. Danach gehen wir in die Extern-Stube, wo Sie gern abends in fröhlicher Runde zusammensitzen können.»
    Alle folgten. Alle mit Ausnahme von Wencke und Nina. Sie lächelten sich verschwörerisch zu und blieben in der hohen Eingangshalle stehen, in der die Schritte der durch eine Seitentür abziehenden Gruppe widerhallten.
    Als sie allein waren, ging Wencke zum Kaffeeautomaten und warf einen Euro in den Schlitz, drückte auf Milchkaffee und wartete ab, welches Gebräu nach dem aufgeregten Gebrodel im Maschineninneren in den bereitgestellten Plastikbecher fließen würde.
    «Ich hab noch einen Euro. Soll ich dir ’nen Kaffee spendieren?»
    «Das wäre nett!», sagte Nina. «Schwarz bitte, ohne Zucker.»
    Wencke schob ihren Becher ein Stück zur Seite und warf den zweiten Euro ein.
    Wieder gab die Kaffeemaschine merkwürdige Geräusche von sich.
    «Wollen wir ein paar Schritte gehen?», fragte Nina, nachdem sie den ersten Schluck der schwarzen Brühe getrunken hatte. «Direkt hinter der Klinik ist ein schöner Wald, der
Silvaticum- Park
. Mit einigen seltenen Bäumen aus aller Welt. Hab ich in der Infomappe gelesen.»
    «Gute Idee», fand Wencke. Sie stellte den Kaffee zur Seite und warf sich schwungvoll ihre Jeansjacke über die Schultern. «Wenn wir so spät abends noch Aufputschmittel in Form vonInstantkoffein zu uns nehmen, sollten wir uns tatsächlich noch ein bisschen müde laufen.»
    Sie verließen die Klinik durch die automatische Schiebetür, übersahen auch nicht den Hinweis, dass diese um Punkt 22   Uhr geschlossen werden würde und man bis dahin doch bitte sehr im Haus sein sollte. Wencke kicherte.
    «Erinnert mich an Klassenfahrt», sagte sie.
    «Na, dann lass uns aufpassen, dass uns der Herbergsvater nicht erwischt», entgegnete Nina.
    Sie liefen zur Hinterseite der Klinik. Ein Holzschild wies auf die Nähe zum
Silvaticum -Park
und Hallenbad hin. Je weiter sie gingen, desto dunkler wurde es.
    Zudem war die leichte Jeansjacke nicht die optimale Bekleidung für eine Nachtwanderung im Dezember. Wencke schlotterte.
    «Frierst du oder hast du Angst im Dunkeln?», fragte Nina.
    «Vielleicht beides», gab Wencke zu. «Warum haben die hier im Park auch nicht eine einzige Laterne an?»
    «Kein Geld», sagte Nina. «Bad Meinberg spart an allen

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