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Die Wacholderteufel

Die Wacholderteufel

Titel: Die Wacholderteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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mehrmals Rast und hielten sich am Geländer fest. Doch die Frau stieg hinauf, als wäre zwischenzeitlich eine Rolltreppe eingebaut worden. «Sie ist fast oben!», keuchte er in den Hörer. «Soll ich hinterher?»
    «Nee, bloß nicht. Bleib erst mal, wo du bist. Sonst erschreckst du sie noch, das ist nicht gut!» Es rauschte kurz aus dem Funkgerät. Dann meldete sich der Kollege wieder. «Hat sie Drogen genommen?»
    «Woher soll ich das wissen? Ich habe ihr eine Karte verkauft und keine Blutprobe entnommen.»
    «Mensch, mach nicht so blöde Witze. Du weißt genau, was ich meine. War die Tante irgendwie schwarz gekleidet, hatte sie eine Alkoholfahne, sah sie abgefuckt aus?»
    «Nein, sie sah ganz normal aus. War nur ein bisschen merkwürdig. Und sie hatte keine Tasche dabei.»
    «Keine Tasche?»
    «Ja, sie hatte kein Portemonnaie dabei, sondern die Kohleschon passend in der Hand gehabt. Sie hat auch keine Fotos gemacht oder sich die Gegend angeschaut. Sie ist einfach nur auf den Felsen zu und dann   … O Scheiße, jetzt ist sie oben   … Mann, Mann, Mann, was soll ich jetzt tun?»
    «Wir sind schon unterwegs, Horst. Bleib cool. Vielleicht irrst du dich ja auch. Stell dich unten hin und zeig ihr, dass du sie beobachtest. Das hält viele davon ab zu springen.»
    Toll, dachte Horst, warum muss mir das passieren. Seine Knie waren weich wie Butter, als er sich aus dem engen Häuschen schob. Das feuchte Wetter der letzten Tage hatte den Boden aufgeweicht, und sein Schuh versank ein Stück in der lehmigen Erde. Als er weiterging, schmatzten seine festen Sohlen bei jedem Schritt. Er blickte nach oben. Der Hauptfelsen war ein richtig klobiges Ding. Breit und sicher dreißig Meter hoch ragte er in den grauen Wolkenteppich, und ganz oben stand eine Frau, die sich allem Anschein nach gleich in die Tiefe stürzen wollte.
    Neulich hatte einer der Kollegen bei der Frühstückspause noch so eine dämliche Bemerkung gemacht. Dass es bald mal wieder an der Zeit wäre, hatte er gesagt und dabei in seine Wurststulle gebissen. Dass sich mindestens alle zwei Jahre jemand dort umbringen würde. Oder versehentlich stürzte, weil die unerlaubte Kletterpartie in die Hose gegangen war. Manchmal glaubten auch welche, die zu viele Tabletten genommen hatten, sie könnten fliegen. Deswegen nannten sie diese Kandidaten auch «Flieger». Es gab sogar so etwas wie eine Regel hier an den Externsteinen. Die versehentlichen Todesstürze geschahen in Richtung Wärterhäuschen, die Selbstmörder hingegen sprangen an der Seeseite. Erfahrungswerte, hatte der Kollege behauptet. Aber sie hatten nicht darüber gesprochen, was denn nun zu tun sei, wenn man da so jemanden stehen hatte, egal an welcher Seite, der am Wärterhäuschen doch lieber nur ein «One-way-Ticket» gelöst hätte.
    Es nieselte leicht. Als der Wärter nach oben schaute, legte er sich die Hand schützend vor die Stirn. Er konnte nur den grauen Mantel sehen, der Wollstoff wehte leicht hin und her. Sie stand mit dem Rücken zu ihm und blickte Richtung See. Vielleicht genoss sie ja wirklich nur die Aussicht auf die fast glatte Wasseroberfläche, in der sich der Nebel und die Bäume des anderen Ufers spiegelten.
    «Wie lang braucht ihr denn noch?», flüsterte der Wärter ins Funkgerät. Er wusste, die anderen waren ein ganzes Stück in den Wald gegangen. Sie waren dabei, Bäume auszusuchen und zu markieren, damit in der nächsten Woche die Jungs mit den Sägen antanzen konnten. Noch vor Weihnachten sollten die Stämme ins Lager gebracht und verkauft oder im nächsten Frühjahr als Begrenzungszäune zusammengebaut werden. Die Kollegen hatten also richtig viel zu tun. Wer hätte denn auch ahnen können, dass es ausgerechnet heute wichtig war, sich nicht zu weit zu entfernen?
    Endlich meldete sich die Stimme. «Dauert noch zwei, drei Minuten.»
    «Das ist zu lang. Ich geh jetzt hoch!»
    «Kannst du was sehen?»
    Er rutschte nochmal einen Schritt rückwärts durch den Matsch. Als er den Kopf in den Nacken legte, erkannte er, dass die Frau sich inzwischen am Geländer zu schaffen machte. Der Sicherheitszaun war nicht allzu hoch, bestand jedoch aus leicht spitzen Metallstreben, die ein bequemes Hinüberklettern erschwerten. «Ich glaube, die will gerade über das Gitter steigen.»
    «Dann los. Aber sei bloß leise!», kam das Kommando.
    Er nahm die ersten Stufen zu hastig. Die Erde unter den Schuhen ließ ihn nach wenigen Schritten vom Stein abgleiten, und er stieß sich das Schienbein. Doch es

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