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Die Wacholderteufel

Die Wacholderteufel

Titel: Die Wacholderteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Ecken und Enden. Seitdem die Gesundheitsreform die Vorsorgemaßnahmen so drastisch zusammengestrichen hat, sind die goldenen Zeiten in allen Kurorten vorbei, nicht nur hier.»
    «Du weißt aber gut Bescheid.»
    Nina zuckte die Schultern. «Ich habe mich nur etwas schlau gemacht. Sonst nichts.»
    Sie schwiegen ein paar Schritte lang. Jede nippte dabei an ihrem Kaffee, Nina kaute zudem merkwürdig nervös am Rand des Pappbechers herum. Ob sie etwas bedrückte?
    Wencke konnte links und rechts des Weges schemenhaft die Umrisse verschiedener Bäume ausmachen. Der Wind spielte mit den kahlen Ästen und pfiff einige Male so geschickt durch die Zweige, dass ein wunderbar schauriges Geräusch entstand, vor dem sie sich als Kind sicher mächtig gegruselt hätte.
    Nina tippte Wencke auf die Schulter und zeigte in die Dunkelheit zur Rechten. «Schau mal, dahinten kannst du die alte Lippe-Klinik erkennen. Der riesige Klotz in der Dunkelheit. Kein Licht an, kein Zimmer bewohnt. Früher war das eine topmoderne Rehaklinik, renommiert in ganz Deutschland. Steht nun schon seit Jahren leer und soll abgerissen werden, sobald das Geld dafür da ist.»
    «Und da ganz hinten, in dem Pyramidenbau?»
    «Da sind die Yogis, also ein Zentrum für Meditation und so. Früher war hier richtig was los, da flanierten die Kurgäste durch diesen Park und traten sich fast auf die Füße dabei. Und jetzt sind nur noch ein paar Schwangere in der
Sazellum - Klinik
, ein Haufen Hare-Krishna-Jünger und dieses baufällige Monstrum übrig.»
    «Hast du das auch gelesen?» Wencke musste zugeben, dass sie von Ninas Wissen beeindruckt war. Schließlich war sie nur wenige Stunden vor ihr in Bad Meinberg eingetroffen. Und obwohl sie gesagt hatte, sie sei noch nie hier gewesen, konnte sie bereits eine richtige Stadtführung leiten.
    Nina schaute sich nachdenklich um. «Ein gottverlassenes Stück Erde hier.»
    «Unheimlich», sagte Wencke. «Wollen wir wieder umdrehen? Mir ist saukalt.»
    «Bist du ein Angsthase? Hätte ich nicht gedacht.»
    «Nein, Quatsch. In meinem Job muss ich oft genug in unheimlichen Milieus herumsuchen.» Nun hatte sie sich verplappert. So was Dummes. Sie hatte sich fest vorgenommen, nach Möglichkeit niemandem von ihrer Arbeit zu erzählen. Wie sollte sie sich erholen, wenn alle naselang jemand diese Fragen stellte, die alle stellten, wenn sie erfuhren, dass man bei der Polizei war? Sie drehte um und ging zurück. Die Lichter der
Sazellum- Klinik
waren in einiger Entfernung durch die Bäume zu sehen. Vielleicht hatte Nina ja gar kein Interesse an ihrer Arbeit.
    Leider lag Wencke mit dieser Hoffnung falsch. Kaum waren sie um die erste Kurve Richtung Lichtermeer, da hakte ihre Begleiterin nach.
    «Auf dem Amt? Du hast doch gesagt, du arbeitest in irgend so einer Behörde.»
    «Polizeibehörde.» Wencke ließ den Plastikbecher in dem Mülleimer neben einer Parkbank verschwinden.
    «Du bist Polizistin?», fragte Nina und trank den letzten, sicher nur noch lauwarmen Schluck Kaffee. Dann warf auch sie den rundherum abgeknabberten Becher in den Abfallkorb.
    «Ja, aber bitte erzähle es nicht herum. Ich kenne das: Alle wollen alles wissen. Ob ich schon mal auf einen Menschen geschossen habe, ob ich schon mal mit einem Mord zu tun hatte und so weiter. Eigentlich sind es immer dieselben Fragen.»
    «Und? Hast du schon mal geschossen?»
    «Ja, ich habe natürlich schon mal geschossen. Aber lediglich auf Zielscheiben, zum Glück.»
    Sie standen wieder vor der Klinik. Es war bei weitem noch nicht zehn Uhr, und sie kamen problemlos durch die Tür.
    «Und Mord?», fragte Nina.
    «Ab und zu», schwächte Wencke die Tatsachen ab.
    «Ich hatte auch schon mal mit Mord zu tun», sagte Nina mit einem Anflug von Begeisterung, der ihrem sonst eher müden Gesicht einen neuen Ausdruck verlieh.
    Wencke kannte dieses Thema. Auf Partys, im Urlaub, bei jeder noch so privaten Gelegenheit mussten die Menschen ihr erzählen, wie und wann sie auf vielleicht hundert Kilometer Entfernung mit einem Mord zu tun hatten. Als wäre es ein Privileg, eine besondere Leistung. Oder als wäre es ein besonders guter Witz, der erzählt werden musste, um die Gesellschaft bei Laune zu halten. Sogar ihr Gynäkologe hatte beim Ultraschall ausschweifend erzählt, dass sein Nachbar sich in der Garage mit Auspuffgasen vergiftet hatte, während Axel Sanders und siegebannt auf dem Bildschirm das schlagende Herz ihres Kindes beobachtet hatten.
    Es ärgerte sie, dass Nina Pelikan schon Luft holte,

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