Die Wacholderteufel
Telefonate führen wegen der neuen Abbeize für lackiertes Eichenholz, angeblich sollte ein Großhändler die kostspielige Chemikalie zum Einführungspreis liefern, und die Prospekte klangen viel versprechend. Danach wollte er sich – ausnahmsweise – mal für ein paar Minuten aufs Sofa legen und Schlaf nachholen.
Ein Klingeln an der Tür durchkreuzte seine Pläne. Stefan Brampeter erkannte durch das staubige Werkstattfenster Norbert Paulessen, den Dorfsheriff. In waldgrüner Amtstracht stand er vor seinem Gartentor. Paulessen war ein feiner Kerl, etwas jünger als er selbst, der sich zu Recht als Freund und Helfer in seinem Polizeibezirk Bad Meinberg bezeichnen durfte. Mit den ganz großen Verbrechen hatte er nicht allzu viel zu tun, deswegen konnte man ihn auch oft dabei beobachten, wie er für ältere Gemeindemitglieder den schweren Einkauf nach Hause trug oder bei den Kindern schnell selbst die Beleuchtung am Fahrrad reparierte, bevor er für den mangelhaften Zustand des Drahtesels ein Verwarnungsgeld einfordern musste. Er war nicht viel größer als ein Meter siebzig, dabei schmächtigund jungenhaft. Die wenigen Frauen, die kleiner waren als der Ordnungshüter von Bad Meinberg, schwärmten für seinen jungenhaften Charme und seine blauen Augen.
Stefan Brampeter öffnete die Tür.
«Hey, Norbert, komm rein, du weißt doch, dass meine Pforte nie verschlossen ist.»
Der Beamte kam schulterzuckend auf ihn zu. «Wenn ich privat unterwegs wäre, würde ich natürlich ohne weiteres bei dir reinschneien.»
«Ach», sagte Stefan nur. Dann schloss er die Werkstatttür hinter ihnen.
Paulessen nahm die Mütze vom Kopf. «Ich hab was Unangenehmes, Stefan.»
Wenn ein Polizist die Mütze abnimmt, geht es um Leben oder Tod, dachte Brampeter. Er bot dem Beamten den einzigen Stuhl neben dem Telefon an und setzte sich selbst auf die Arbeitsbank. «Also?»
«Ich weiß, morgen ist das Wacholderteufelfest und du hast sicher genug um die Ohren. Aber in diesem Fall …»
«Schieß schon los!»
«Die alte Martineck kam heute Morgen zu mir aufs Revier. Sie war auf dem Friedhof und hat ihren Mann gepflegt, also, entschuldige, das Grab ihres Mannes natürlich.»
«Ja?»
«Und da hat sie gesehen, dass … also, weißt du, wo der alte Martineck begraben ist?»
Brampeter schnaubte. «Nein, keine Ahnung. Warum sollte ich das wissen?»
«Er liegt in derselben Reihe wie Ulrich.»
«Ach.»
Paulessen fühlte sich offensichtlich unwohl. «Also, das Grab vom alten Martineck ist relativ weit am Gang, und dein Bruder liegt ja ganz außen am Rand.» Der Polizist griff sicheinen Stechbeitel und ließ das kleine Werkzeug in seinen unruhigen Händen hin- und herwandern. «Auf jeden Fall hat die alte Martineck bemerkt, dass da was nicht stimmt. Und als sie näher hingegangen ist, na ja, da hat sie eben gesehen, dass sich jemand daran zu schaffen gemacht hat.»
«An Ulrichs Grab?»
«So ist es.» Er legte den Stechbeitel wieder auf den Tisch. Nun, wo es raus war, brauchte er wahrscheinlich kein Irgendwas mehr, an dem er nervös herumfingern konnte. «Grabschändung», sagte er noch.
«Inwiefern?»
«Na ja, für einen schlechten Jungenstreich war es eindeutig zu viel des Guten. Wer immer es auch war, er hat nicht nur die Blumen herausgerissen und quer über den Friedhof geschleudert, sondern auch …» Nun musste die Schere von Stefans Schreibtisch als Ablenkung für Paulessens Finger herhalten. «… sondern auch etwas ziemlich Unrühmliches hinterlassen.»
«Jemand hat auf Ulrichs Grab geschissen?»
Norbert Paulessen nickte und schnippelte mit der Schere an der lose herumliegenden Werbebroschüre für Abbeize herum, bevor er es selbst merkte. «Entschuldige, ich hoffe, der Zettel war nicht wichtig.»
Stefan Brampeter kümmerte sich nicht um das Blatt Papier. «Aber wer sollte so etwas machen?»
«Wir haben bereits nach Zeugen gesucht. Gestern Abend war noch alles okay, sagte die Frau vom Küster, sie sei persönlich gestern gegen fünf auf dem Friedhof gewesen, um nach den Komposthaufen zu schauen, also, ob die geleert werden müssen, und da sei ihr nichts aufgefallen. Und die alte Martineck war um halb neun als eine der Ersten auf dem Gelände. Es muss heute Nacht passiert sein. Schrecklich, nicht wahr?» Er rieb sich vor lauter Unwohlsein an der Nase. «Also, ichbin noch nicht so lange im Amt, aber so etwas habe ich noch nie gesehen; und wenn ich ehrlich bin, will ich so etwas auch nicht nochmal erleben. Nicht in
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