Die Wacholderteufel
einem friedlichen Ort wie Bad Meinberg, wo doch jeder jeden kennt und wo jeder weiß, wie schlimm die Sache mit deinem Bruder damals gewesen ist.» Die letzten Sätze hatte Paulessen in einem Tempo aufgesagt, dass Stefan sich sicher war, er hatte genau diese Worte in genau dieser Reihenfolge an diesem Morgen bereits mehrmals gesagt oder zu hören bekommen. Es war ja auch was Wahres dran. Wer immer Ulrichs Grab geschändet hatte, musste genau gewusst haben, um wessen Ruhestätte es sich handelte.
«Nun sag mal was», sagte Paulessen.
«Meine Mutter?», fragte Stefan.
«Wir hoffen, die Leute sind schlau genug, sie nicht darauf anzusprechen. Obwohl ich gerade bei der recht mitteilungsfreudigen Frau des Küsters meine Zweifel habe. Hast du eine Ahnung, wie oft und wann deine Mutter die Grabpflege macht?»
«Ich mache das bei Ulrich», sagte Stefan. «Mein Vater hat ja nur ein kleines Urnengrab ganz vorn bei der Kapelle, das ist dann ihre Aufgabe. Wir haben uns das so aufgeteilt. Nur an den Todes- und Geburtstagen besuchen wir jeweils die anderen. Und am Totensonntag. Also war meine Mutter ja erst vor ein paar Wochen da. Ich glaube nicht, dass sie sich vor Weihnachten nochmal auf den Weg macht. Du weißt, mit ihrem Übergewicht ist es eine Strapaze für sie, den Hügel raufzukommen.»
«Zum Glück. Wir haben die Schandtat fotografiert und versuchen auch, entschuldige, wenn es etwas abstoßend klingt, die Herkunft des Haufens zu analysieren. Aber ansonsten hat der Küster sich bereit erklärt, das Gröbste wieder zu richten. Du müsstest dich dann nur wieder um neue Pflanzen kümmern.»
«Ist gut. Muss ich eigentlich Anzeige erstatten?»
«Nein, laut Gesetzbuch ist Grabschändung als Störung der Totenruhe eine Straftat und wird nach der Meldung der alten Martineck ohnehin polizeilich weiterverfolgt. Für alle Dinge, die mit Leben und Tod zu tun haben, ist das 1. Dezernat in Detmold zuständig. Die Kollegen sind schon informiert. Ich habe mich allerdings angeboten, die nötigen Ermittlungen vor Ort schon mal einzuleiten. Damit die Sache schnell aus der Welt ist.»
«Soll ich sonst irgendwas machen?»
Stefan sah genau, dass Paulessen wieder versucht war, nach etwas zum Herumfummeln zu greifen. «Ich hab gehört, die Janina ist da.» Als Stefan nicht reagierte, fügte der Polizist hinzu: «Hat mir Konrad Gärtner erzählt. Mit dem warst du doch gestern bei den
Wacholderteufeln
, stimmt’s? Er war nämlich heute Morgen bei mir wegen einiger zertretener Blumenbeete in der Fußgängerzone. Ich habe ihm dann von der Sache auf dem Friedhof erzählt, na, und da fing er mit der alten Geschichte an und erzählte, dass Fräulein Grottenhauer wieder in Bad Meinberg aufgetaucht ist. Sie soll als Patientin in der
Sazellum - Klinik
sein.»
«Das habe ich auch schon gehört.»
«Soweit ich weiß, ist es das erste Mal nach dem Unfall, dass sie wieder hier ist. Ich war ja damals gerade bei der Bundeswehr, kann mich also nicht richtig erinnern, aber das Theater im Ort, als Ulrich tot war und die Grottenhauer das Weite suchte, das werde ich nie vergessen.»
«Ich auch nicht.»
«Kann es ein Zufall sein, dass diese Frau wieder auftaucht, nach all den Jahren, und just in der ersten Nacht, nachdem sich diese Neuigkeit unter den Leuten verbreitet hat, wird das Grab deines Bruders verwüstet?»
«Ja, aber du glaubst doch nicht im Ernst, dass …»
«Du hast Recht, Stefan. Sie wird so eine Schweinerei nicht gemacht haben. Ich glaube auch eher, dass der Vandalismus in der Innenstadt etwas mit der Grabschändung zu tun haben könnte. Dass da einer ausgerastet ist und dann eben so einen derben Unfug angestellt hat.» Paulessen wandte den Kopf und blickte Stefan das erste Mal an diesem Tag richtig ins Gesicht. «Wann warst du denn heute Nacht zu Hause?»
Stefan gelang es problemlos, keine Miene zu verziehen. «Ich bin mit Konrad aus dem Lindenhof. So gegen halb zwei muss das gewesen sein.»
«Und dann bist du nach Hause?»
«Ja, aber da war noch alles in Ordnung auf der Allee. Nichts zertrampelt oder auseinander gerissen. Da bin ich mir sicher, denn ich hatte schon gut einen in der Krone und habe mich mächtig angestrengt, nicht irgendwelchen Schaden anzurichten.»
«Und bist du denn der Janina in den letzten Tagen schon begegnet?»
«Nein, und darauf bin ich auch nicht scharf!»
«Das glaube ich dir.» Er griff nach seiner Mütze und drehte sie in der Hand. «Sonst gehen deine Geschäfte gut?», fragte Paulessen und machte
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