Die Wacholderteufel
Wache betrat, offensichtlich gut gelaunt und noch ein bisschen attraktiver als gestern vor der
Sazellum -Klinik
.
Als sie sich ihm als Kollegin vorstellte, war er ziemlich perplex. Noch dazu bekleidete sie einen höheren Dienstgrad, was bei ihm ein nervöses Stottern auslöste. Instinktiv schob er den großen Papierlocher vor das Bild mit Frau und Zwillingen.
Sie erzählte ihm kurz und bündig, dass es sich bei der Frau, die er gestern gesucht hatte, um dieselbe Person handelte wie ihre seit gestern verschwundene Tischnachbarin. Darauf war Paulessen inzwischen auch schon gekommen, die Kollegen von der Streife hielten die Augen auf, er stand in ständigem Kontakt zur Klinikleitung, und den Ehemann hatte man auch schon zu verständigen versucht. Sie waren also nicht untätig, was Nina Pelikan anging, aber er sagte nichts dazu, weil diese Wencke Tydmers so herzerfrischend plauderte, dass jede Unterbrechung zu schade gewesen wäre. Sie berichtete von Nina Pelikans depressivem Verhalten, von den Andeutungen ihres Sohnes, was den häuslichen Frieden anging, sie schimpfte leidenschaftlich auf die ignorante Klinikleitung und erwähnte zum Schluss die Geschichte, die ihr in der Bäckerei erzählt worden war. Und dann fragte sie ihn, wer oder was die
Wacholderteufel
seien.
«Ich habe beim Rundgang in der Klinik diesen Begriff bereits gehört. Frau Meyer zu Jöllenbeck sagte, es handle sich dabei um eine Art Heimatverein. Und mein derzeitiger Ziehsohn hat mir von dem Theaterstück und der alten Legende erzählt. Aber warum sollte die Verkäuferin des singenden Bäckers die Gruppe dann im Zusammenhang mit dem rechtsradikal motivierten Überfall auf ein Asylantenheim vor mehr als zehn Jahren erwähnen?»
Paulessen brauchte erst ein paar Sekunden, bis er begriff, dass nun er an der Reihe war, so versunken war er in der Betrachtung der hübschen Frau. «Ich war damals bei der Bundeswehr. Ich hatte mich für ein paar Jahre verpflichten lassen, war im Münsterland stationiert. Deswegen ist mir die ganze Sache nicht so geläufig. Aber wir können ja mal in den Akten nachschauen.»
«Ginge es am PC nicht viel schneller? Sie sind doch sicher mit der Dienststelle in Detmold vernetzt.»
«Schön wär’s», seufzte Paulessen. «So weit sind wir hier noch nicht.»
«Aber solche Monster von Papierlocher anschaffen, dafür reicht’s dann doch noch.» Sie griff nach dem Gerät, entdeckte natürlich prompt das Familienfoto dahinter und schnappte es sich mit einem «Darf ich?».
«Meine Frau, meine Kinder», sagte Paulessen resigniert.
Sie lächelte das Foto an und stellte es wieder zurück.
Paulessen ging in den Hinterraum und holte die Akte.
Seine Besucherin staunte. «Sie brauchen gar keinen PC, schneller hätte der es auch nicht herausfinden können.»
«Ich habe gestern erst darin geblättert, deswegen musste ich nicht so lange suchen.»
Er legte den Ordner auf den Schreibtisch und schlug die Stelle auf, an der ihm schon gestern die vielen Papiere aufgefallen waren, auf denen von Rechtsradikalismus die Rede gewesen war.
«Warum haben Sie gestern eigentlich nach Nina Pelikan alias Janina Grottenhauer gesucht? Ich glaube nicht, dass Frau Meyer zu Jöllenbeck die lackierten Fingernägel dazu genutzt hat, Sie in dieser Angelegenheit anzuwählen und telefonisch zu unterrichten …»
«Nun, Ihnen als Kollegin kann ich es ja erzählen. Ohnehin wundert es mich, dass die Dame von gegenüber Ihnen diese Nachricht nicht auch samt Kaffee und Kuchen serviert hat. Immerhin ist es topaktuelles Dorfgespräch. Es geht um Grabschändung.»
«Was?»
Während er Wencke Tydmers von den Verwüstungen rund um Ulrich Brampeters Grab erzählte, überflog er die Akten, suchte nach den Namen Grottenhauer und Brampeter, nach den Begriffen Wacholderteufel und Asylantenheim. Am 21. Juni blieb sein fahndender Finger hängen. «Sommersonnenwende»,sagte er. «Ich hab was gefunden. Heute genau vor elfeinhalb Jahren.»
«Was ist da passiert?»
«Ein Mobiles Einsatzkommando hat nach dem Brandanschlag auf das Detmolder Asylantenheim eine rechtsradikale Gruppierung zerschlagen.»
«Ja?»
«Das MEK hatte den Namen
Wacholderteufel
.»
«Ach!»
Paulessen schob die Akte so hin, dass auch Wencke Tydmers mitlesen konnte. Es war kein Schriftstück, welches man unbedingt als Werbebroschüre für den Teutoburger Wald verwenden sollte, vielmehr war es eine Art Armutszeugnis. Dabei ging es nicht in erster Linie um die überschaubare Gruppe kahlköpfiger
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