Die Wacholderteufel
Jugendlicher, die sich
Teufelskinder
nannte, sich pseudohistorisch auf die Geschichte berief und in den Externsteinen ein Symbol für die deutsche Herrenrasse sah. Eine Gruppe, die Asylbewerber anpöbelte, Brandsätze in deren Behausungen warf und dabei in Kauf nahm, dass eine zwanzigjährige Senegalesin bis an ihr Lebensende von Narben entstellt sein würde. Das war schlimm, dumm und eine Gefahr – zweifelsohne. Aber was Paulessen wirklich beschämte, war, dass er als Bad Meinberger Junge nichts davon gewusst hatte. Dass seine Eltern, seine Kollegen, seine Nachbarn und Freunde diese Geschichte nicht für erzählenswert hielten. Und zu guter Letzt, dass er sich selbst nie wirklich damit auseinander gesetzt hatte. Stets hieß es: Das MEK hat dem Spuk ein Ende bereitet. Und damit basta. Kein Thema mehr. Aus und vorbei.
Wencke Tydmers sah die Sache sicher aus einem anderen Blickwinkel, klar, sie hatte ja keine Wurzeln, die in fauligem Boden verankert waren. Hier und da hakte sie nach, fragte nach Dienstgraden und Strukturen der Detmolder Polizeiverwaltung, wollte mehr über Ulrich Brampeter und die anderenBad Meinberger wissen. Bis sie die letzte Seite aufschlug, auf der die Kopie des psychologischen Gutachtens von Janina Grottenhauer alias Nina Pelikan auftauchte.
«Was ist das?», fragte sie. Es war nicht zu übersehen, dass sie bleich wurde, sie tippelte nervös mit den Fingerspitzen auf der Unterlippe.
Paulessen versuchte, auf den ersten Blick herauszufinden, was seine Besucherin auf diesem Blatt Papier so in Aufregung versetzte. Eine Psychologin attestierte Janina Grottenhauer ein gesundes Rechtsempfinden, eine weitestgehend unauffällige und altersgemäße Entwicklung, ein eher unsicheres und wenig aggressives Naturell. Eine ausgeprägte rechtsradikale Gesinnung sei nicht auszumachen. Auffällig sei lediglich die verstörte Reaktion, wenn man sie auf die Sommersonnenwende anspräche. Die Geschehnisse dieser Nacht hätten bei dem fünfzehnjährigen Mädchen eine traumatische Wirkung hinterlassen, sie sei noch nicht in der Lage, über alles zu sprechen. Die Psychologin hielt das Mädchen eher für unschuldig, was die Brandstiftung anging, riet jedoch dringend zu einer weiteren psychologischen Betreuung.
«Was ist damit?», fragte Paulessen, der anhand des Schreibens keinerlei Grund für Wencke Tydmers’ plötzlichen Schweißausbruch ausmachen konnte. «Das hört sich doch alles sehr vernünftig an. Die Grottenhauer wird es damals wohl tatsächlich nicht gewesen sein. Sie wurde zum Opfer ihrer wenig kollegialen braunen Clique, die ihr Alter und ihre Unbescholtenheit ausnutzte, um ihr die Schuld in die Schuhe zu schieben.»
«Nein, das ist es nicht», sagte Wencke Tydmers atemlos.
«Es kann natürlich gut möglich sein, dass das Mädchen daraufhin einen Groll gegen ihren Freund Ulrich Brampeter hegte und dies den Verdacht erhärtet, sie hätte ihn dann ein paar Monate später doch absichtlich auf dem Parkplatz überrollt.»
«Das ist es auch nicht.»
«Ja, aber was dann?»
Wencke Tydmers legte ihren Finger auf den Briefkopf. Das Gutachten war von einem freien psychologischen Institut erstellt worden. So etwas kam häufig vor, da sich so kleine Polizeistellen wie Detmold keinen eigenen Polizeipsychologen leisten konnten. Das in diesem Fall beauftragte Institut hatte seinen Sitz in Bielefeld. Eine Diplompsychologin hatte das Attest unterschrieben. Geschäftsführer des Ganzen war ein gewisser …
«Dr. Ilja Vilhelm», sagte Wencke Tydmers. Sie lehnte sich im Besucherstuhl zurück und hielt sich die Stirn, als habe sie auf einmal heftige Kopfschmerzen bekommen. «Das darf doch nicht wahr sein!»
24
Rasend schnell war Wencke mit dem Fahrrad wieder Richtung
Sazellum -Klinik
unterwegs. Doch sie wusste, ihr Herzklopfen resultierte nicht nur aus der körperlichen Anstrengung, die sie aufwenden musste, um den kleinen grünen Hang zum Wällenweg hinaufzuradeln. In erster Linie lag es noch immer an dem Schrecken, der ihr eben im Polizeibüro in die Glieder gefahren war.
Ilja Vilhelm, natürlich. Hatte er nicht gesagt, dass er vor seiner Tätigkeit als Klinikpsychologe freiberuflich unter anderem für Behörden gearbeitet hatte? Im Grunde ja auch nicht verdächtig, in keiner Weise beunruhigend.
Doch was Wencke stutzig machte, war die Tatsache, dass er weder bei der Vorstellungsrunde noch bei dem gestrigen Gesprächüber Ninas Verschwinden erwähnt hatte, dass er sie bereits kannte. Vielleicht waren sie sich
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