Die Wacholderteufel
Flasche Saft in sein Zimmer kam.
«So ganz verstehe ich immer noch nicht, warum dieser Hartmut Pelikan den ganzen Aufwand betrieben hat, um mir zu schaden. Nur weil ich seiner Frau zur Trennung geraten habe …»
Paulessen war kein Psychologe, und im Grunde waren ihm diese Seelensachen sogar ein wenig suspekt. Doch er hatte bereits mit den Kollegen von der Mordkommission in Detmold gesprochen und konnte Ilja Vilhelms Fragen zumindest ansatzweise beantworten. «Man nimmt an, dass Pelikan von der Idee besessen war, dass seine Frau ihn nicht aus freien Stücken verließ, sondern von falschen Freunden beeinflusst wurde. Wer die Geschichte von Nina Pelikan kennt, weiß ja, dass sie tatsächlich alles andere als willensstark ist.»
«Ja», bestätigte Ilja Vilhelm. «Es gab da in der Vergangenheit bereits ein paar Fälle … Ich darf nicht darüber reden, aber ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht eher darauf gekommen bin, in welch schlimmer Situation sich meine Patientin befand …» Er hustete wieder so stark, dass seine Augen tränten.
«Ach, es gab ja zum Glück diese Kommissarin, die irgendwie dahinter gekommen ist …»
«Sie meinen Wencke Tydmers …»
Paulessen konnte nicht an sich halten. «Sie ist die beeindruckendste Kollegin, der ich je begegnet bin.»
Vilhelm hatte einen undefinierbaren Gesichtsausdruck. War es Skepsis?
«Aber mein Lebensretter sind Sie», sagte Ilja schließlich, und Paulessen musste gegen seine Verlegenheit ankämpfen. Der ganze Rummel um seine Person und die paar Minuten, die er an den Externsteinen das Seil gehalten hatte, war ihm peinlich. Sogar sein Vorgesetzter hatte ihn über den grünen Klee gelobt, und seit gestern stand wie durch Geisterhand auf einmal ein funktionsfähiger PC auf seinem Schreibtisch in der kleinen Dienststelle. Der Internetanschluss sollte gleich nach Neujahr installiert werden.
Für ihn selbst schien der Vorfall bei der Wintersonnenwende nur noch eine seltsame Erinnerung, ein verklärter Albtraum zu sein. Er konnte sich noch genau erinnern, was er gedacht hatte, als er mit seinem bisschen Kraft dieses verdammte Seil hielt: «Was ist hier los? Warum warnt mich diese Wencke Tydmers vor einem Anschlag, der so abwegig klingt und so gar nichts zu tun hat mit dem üblichen Falschparken oder nächtlicher Ruhestörung? Hänge ich hier wirklich in diesem Moment auf den Externsteinen fest und werde dabei beleuchtet von Scheinwerfern, angefeuert von einem Publikum? Was ist hier los?» Waren das die Gedanken eines Helden, eines Teutoburger Superman?
Das Zimmer von Wencke Tydmers lag in der gynäkologischen Abteilung ganz hinten am Gang. Paulessen atmete einmal tief durch, bevor er an die Tür klopfte und nach dem «Herein» von drinnen ins Zimmer trat.
«Herr Kollege!», sagte Wencke Tydmers mit einem strahlendenLächeln. Ihr Kopf war auf einem weichen Kissen gebettet, die roten Haare bildeten einen schönen Kontrast zu dem hellgelben Streifenbezug. Von ihrem Arm aus führte ein Schlauch nach oben zu der Flasche, aus der es im Sekundentakt tropfte. Sie folgte seinem besorgten Blick und grinste: «Keine Sorge. Sieht schlimmer aus, als es ist.»
«Was ist mit dem …?» Paulessen blieben wieder einmal die Worte im Halse stecken, zur Verdeutlichung, was er eigentlich sagen wollte, legte er die Hand auf seinen Bauch.
Wencke Tydmers lachte laut. «Diese Geste, Herr Paulessen, sind Sie in anderen Umständen?» Nun streichelte auch sie über die kleine Kugel, die sich unter der Bettdecke abzeichnete, und so zufrieden hatte er die Kommissarin noch nie gesehen. «Gott sei Dank, dem Kind geht es gut. Ich muss jedoch noch einige Tage eisern in der Waagerechten bleiben und Wehen hemmende Mittel nehmen. Geschieht mir recht.»
Paulessen hatte eine Vase aus dem Flur mitgenommen, die er nun mit Wasser füllte und mitsamt dem Blumenstrauß auf das Nachttischchen stellte.
«Ein Weihnachtsstrauß! Sehr schön, vielen Dank», sagte Wencke Tydmers. Paulessen bemerkte, dass er noch keinen vernünftigen Satz gesagt hatte, seit er eingetreten war. Er räusperte sich. «Nun, Sie können sich jetzt entspannen. Wir haben unsere Fälle ja bei der Wintersonnenwende gelöst.»
Eine Augenbraue wurde interessiert nach oben gezogen. «Die Grabschändung?»
«Stefan Brampeter, der Bruder des dort beerdigten Mannes, hat mich vorgestern auf der Wache aufgesucht und mir die Untat gestanden. Eine alte Familiengeschichte, sagte er, und es solle in Zukunft nicht mehr vorkommen
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