Die Wacholderteufel
hatte eine solche Angst vor uns, dass sie ihr Kind lieber aus dem ersten Stock geschmissen hat! Und dann hat Ulrich den Molotowcocktail in ihre Richtung geschleudert. Ich habe direkt neben ihm gestanden.»
«Hey, beruhige dich doch!», hatte es Stefan versucht. Das hatte jedoch gegen die Tränen nicht geholfen. Nina hatte sich mit dem Strickjackenärmel über die Augen gewischt und ein paar Mal durchgeatmet.
«Zu der Zeit waren dein Bruder und ich noch kein Paar. Ichhabe Ulrichs Gesicht gesehen, als die Frau in Flammen stand, am Fenster, wie eine lebendige Fackel. Sie hat so fürchterliche Geräusche von sich gegeben, und ich hatte den Geruch von verbranntem Haar in der Nase.» Sie hatte wieder geschluchzt, ihre Worte waren immer unverständlicher geworden, ihre Lippen zitterten. «Stell dir vor: Ulrich stand neben mir, legte den Arm um mich und trank grinsend einen Schluck Dosenbier.»
Stefan musste ungläubig den Kopf geschüttelt haben, denn Nina hatte energisch hinzugesetzt: «Das ist wahr! So war er!» Sogleich schien sie erschreckt über ihre eigene Heftigkeit gewesen zu sein, die nächsten Worte hatten wieder ruhiger geklungen.
«Sie haben mir dann ja kurz darauf die Sache mit der Brandstiftung in die Schuhe geschoben. Sie sagten, dass Freunde füreinander einstehen müssten. Alle gemeinsam haben sie behauptet, ich hätte die Afrikanerin fast umgebracht. Und wenige Tage später wurde Ulrich mein Lehrmeister.»
An dieser Stelle hatte Nina Pelikan eine ziemlich lange Pause gemacht. Stefan war wie gelähmt gewesen von dem, was er gehört hatte. Natürlich war ihm die Geschichte aus Detmold mit der verletzten Afrikanerin bekannt, nicht jedoch in dieser Version. Und nun hatte er Ulrich vor Augen, seinen Bruder, der vielleicht … oder sogar wahrscheinlich Freude gehabt hatte an der Qual dieser Frau. Noch nie war ihm wirklich bewusst gewesen, auf wie viel mehr als die Reichsflagge über dem Bett und die Springerstiefel sich Ulrichs politische Ansichten bezogen. Diese Tatsache hatte er bislang erfolgreich verdrängt. Es war klar, warum: Die Wahrheit über den bewunderten Bruder schmerzte.
Stefan wäre gern gegangen, da die Biere und allem voran die Geschichte, die ihm eben erzählt worden war, schrecklich schwer in seinem Magen lagen. Er wollte sich erleichtern. Doch er ahnte, nein, er wusste, dass Nina das Unverdaulichste nochnicht berichtet hatte. Und obwohl er es nicht wollte, blieb er sitzen, schwieg, schaute zu Boden, bis Nina weitersprach.
«Wenn Konrad behauptet hatte, die anderen Männer würden mir die Feinheiten beibringen, dann hat er – zumindest was Ulrich betraf – schlichtweg gelogen. Ulrich war eindeutig mehr für das Grobe zuständig. Für das, was wehtat. Für das, was ohne meinen Willen geschah. Für das, was mich verändert hat, und zwar für immer.»
«Und dein Sohn? Der Mattis …?»
«Ach, Stefan. Ich weiß nicht, bei welcher Gelegenheit er mich dann geschwängert hat. Ich hoffe, es war nicht während … Ich will nicht darüber reden.»
«Aber er ist Ulrichs Sohn. Das ist nicht zu übersehen …»
Ein Lächeln war kurz über Ninas Gesicht gehuscht. «Du bist ihm schon begegnet, er hat mir davon erzählt. Ich danke dir, dass du nichts gesagt hast.»
«Schon okay. Er ist ein toller Junge.»
«Ja, das ist er. Aber die Chancen, dass mein Sohn bei einem ganz normalen Stelldichein gezeugt wurde, stehen ziemlich schlecht. Und im Grunde genommen ist dies das Schlimmste von allem. Dass ich nicht weiß, wie Mattis entstanden ist. Klingt vielleicht komisch.»
«Nein, tut es nicht … Und wie hat mein Bruder reagiert, als du ihm gesagt hast, dass du schwanger bist?»
«Sagen wir, es hat ihn nicht besonders gestört. Für ihn war klar, dass wir heiraten und noch viele andere Kinder bekommen würden. Stell dir vor, er hatte sich auch bereits mit Konrad Gärtner geeinigt, dass dieser bei mir ausnahmsweise auf das Rückgaberecht verzichten würde.» Wieder das bittere Lachen. «Ich weiß bis heute nicht, warum ich mich zuerst darauf eingelassen habe. Somit sei meine Zukunft gesichert, hat Ulrich oft gesagt. Wir bleiben zusammen, bis dass der Tod uns scheidet, hat er mir versprochen.»
Stefan war klar gewesen, dass sie nun an der wesentlichen Stelle angekommen waren. An dem Punkt, der ihn am meisten beschäftigte, seit er seinen Bruder verloren hatte. «Damals auf dem Parkplatz … war es, ich meine, hast du mit Absicht …»
Sie hatte genickt und ihn dabei ernst
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