Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
konnte, woher die Gedanken kamen, die der Stimme Worte verliehen, denn diese Gedanken waren niemals in ihrem Hirn.
»Als der alte Stephan von Pernstein diese Burg hier baute, wollte er sie größer, höher und mächtiger bauen als alle anderen Burgen in Mähren. Er versprach dem Teufel die erste Seele, die über die Brücke zum Bergfried gehen würde, wenn er ihm dabei half. Der Teufel kam und errichtete die Burg so, wie wir sie heute sehen. Doch dann wartete er vergeblich aufseinen Lohn, denn der alte Stephan ließ den Zugang zum Bergfried vermauern. Pernstein war so groß, dass niemand einen Angriff wagen würde; es war nicht nötig, den Bergfried zu besetzen. Der Teufel kochte vor Zorn und sann auf eine List. Schließlich, als der alte Stephan eines Tages auf der Jagd war, versteckte er sich im Bergfried und ahmte Stephans Stimme nach, um dessen Frau zu rufen. ÝHilf mir, WeibÜ, rief der Teufel, Ýhilf mir, ich bin im Bergfried eingeschlossen, öffne die Mauer, und rette mich.Ü Stephans Frau verfiel in Panik und ließ die Mauer einreißen. Doch gerade, als sie die Brücke betreten wollte, sprang Stephans alter, halb blinder und zahnloser Hund, der nicht mehr auf die Jagd mitgenommen worden war, durch die Mauer, um seinen Herrn zu retten. Kreischend vor Wut packte der Teufel das Tier und fuhr zurück in die Hölle. Den Wind, auf dem er hierher geritten war, vergaß er in der Wut, und deshalb weht er hier tagaus, tagein.«
Ihr Vater hatte ein merkwürdiges Gesicht gemacht. »Deine Augen glänzen wie im Fieber, Kind.«
»Es ist eine wunderschöne Geschichte, Vater.« Das erregte Flüstern ihrer eigenen Stimme widerte sie an.
Die Erinnerung an diese Geschichte kam stets zusammen mit dem Albtraum, in dem sie auf der Brücke stand. Sie hatte ein Stöckchen in der Hand. Zu ihren Füßen hechelte ein kleines, junges Hündchen und starrte das Stöckchen an.
»Wirf es«, sagte ihre Stimme.
Sie warf das Stöckchen. Es klapperte auf den Holzplanken der Brücke, ein paar Schritte entfernt. Das Hündchen fuhr herum, schnappte es und brachte es mit wetzenden Krallen zurück. Sie nahm es auf. Das Hündchen hechelte glücklich.
»Wirf es noch einmal.«
Sie warf es in die andere Richtung. Das Hündchen brachte das Stöckchen erneut zurück. Seine Augen schimmerten in Anbetung, ungetrübt von jeglichem Zweifel, sicher in der Göttlichkeit seiner Herrin.
»Wirf es.«
Manchmal hatte sie das Gefühl, selbst nicht zu wissen, was diese Stimme von ihr verlangte. Manchmal wusste sie es genau. Auch jetzt wusste sie es – und erschauerte. Sie hob das Stöckchen und tat so, als werfe sie. Das Hündchen wetzte davon.
»Hier!«, rief sie scharf. Das Hündchen warf unterm Laufen den Kopf herum. Sie hob das Stöckchen und schleuderte es über die Brüstung. Das Hündchen sprang ohne Zögern hinterher.
Es schienen hundert Jahre zu vergehen. Der Wind pfiff in ihren Ohren und peitschte ihr das Haar um den Kopf. Der Hund fiel lautlos. Vielleicht war er bis zum letzten Augenblick davon überzeugt, dass ihm nichts geschehen konnte, weil seine Herrin über ihn wachte. Der Aufprall war ein nebensächliches Geräusch, das man überhört hätte, wenn man nicht darauf geachtet hätte.
Nach dem Tod des Hundes war es stetig schlimmer geworden. Und der Wind heulte um den Bergfried Pernsteins und wartete darauf, dass jemand seinen Herrn zu diesem Ort zurückbrachte.
Polyxena von Lobkowicz fuhr im Bett in die Höhe. Sie atmete heftig. Automatisch betastete sie ihr Gesicht. In ihrer Schlafkammer lag der erste Widerschein der Dämmerung. Das Bett neben ihr war leer. Manchmal dachte sie, die Albträume wären leichter gewesen, wenn dort jemand gelegen hätte, aber es war nicht oft genug gefüllt, um die Theorie beweisen zu können.
Lautlos stand sie auf und glitt zu einem polierten Spiegel. Sie blickte hinein. Sie starrte das Gesicht an, das ihr aus dem Spiegel entgegensah, und tastete erneut über ihre Haut. Das Gesicht war makellos. Sie hörte ihre Stimme, die ihr sagte, dass sie dieses Gesicht hassen musste.
Sie hasste dieses Gesicht.
»Alles ist gut«, flüsterte die Stimme. »Bald ist es vollbracht.«
Das Gesicht im Spiegel schien sich zu verändern, sich aus sich heraus zu verdunkeln. Es war, als ob unter der Oberfläche der gespiegelten Haut etwas sich regte, eine schwarze, bösartige Spinne, deren Beinknäuel plötzlich hindurchbrachen, um sich tasteten, sich über das Gesicht streckten und es umklammerten. Dann war es keine Spinne
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