Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Cosmas hatte mehrfach zugesehen, wie Soldaten nach einer Schlacht zu ihren Feldschern geschleppt wurden, die ihnen dann mit langen Sonden in den Wundlöchern herumstocherten, bis sie auf etwas Hartes stießen, die Zangen einführten und das Harte packten und herauszuziehen versuchten. Manchmal merkten sie erst nach einigem Bemühen, dass sie einen Knochen hielten und nicht das verformte Blei. Manchmal überlebten die Patienten die Prozedur. Die, die starben, hätten besser auf die Dienste des Feldschers verzichtet, dann wären sie wenigstens ohne diese Marter zur Hölle gefahren.
Damals hatte Cosmas festgestellt, wie erstaunlich widerstandsfähig der menschliche Körper gegen Verletzungen war – und wie anfällig gegen die Entzündungen, die von den Versuchen herrührten, die Verletzungen zu kurieren. Ohne genau erklären zu können, wie ihm der Gedanke gekommen war, hatte Cosmas damit herumexperimentiert, die Sonden und Zangen in Wein zu waschen, zu bepinkeln, in die Sonne zu legen und schließlich im Feuer glühend zu machen. Letzteres hatte die besten Resultate gebracht. Das glühende Eisen hielt die Blutung auf, und außerdem fiel der Behandelte meistens in Ohnmacht, was einem das Gebrüll und das Gezappel ersparte und das Geld für die Muskelprotze, die den Patienten festhielten.
Hier hatte es keine Muskelprotze gegeben. Sein Patient hatte nur moderat gebrüllt und überhaupt nicht gezappelt, und in Ohnmacht gefallen war er erst relativ spät.
Selbst bei den Wundwaschungen, die Cosmas mit einem Gemisch aus Urin, abgekochtem Wasser und einem Sud aus Salbei, Kamille und Arnika vornahm und mit einer Vakuumapparatur so tief wie möglich in die Wunde blies, hatte der Patient eine erstaunliche Geduld an den Tag gelegt und allenfalls durch seine Blässe, den Schweißfilm auf der Stirn und das ihm ab und an zu Berge stehende Haar gezeigt, dass er die Behandlung fühlte.
Nein, auch darin war keine wahre Befriedigung zu finden, zumal der Versuch, sich für die zugefügten Schmerzen zu begeistern, zu einem merkwürdigen Pochen in Cosmas’ Zwerchfell führte, das sich anfühlte wie der Morgen nach einer besonders schweren Weinattacke. Cosmas war der Ansicht, dass es der Gipfel des Hohns war, die Beschwerden eines Katers zu empfinden, wenn man nicht einen Tropfen Wein erwischt hatte.
»Du hast es leicht«, sagte er zu dem Gefangenen, bevor er es verhindern konnte.
Der Mann gab keine Antwort. Cosmas sah ihm eine Weile zu, wie er Liegestütze vollführte, zuerst mit der Vorderseite, dann mit dem Rücken zum Boden. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Wunden dabei nicht noch schmerzten. Sie waren sauber und nicht entzündet, aber die Wundkanäle waren tief, und so etwas heilte nicht in ein paar Wochen. Der Gefangene ließ nur ab und zu durch ein Grunzen erkennen, dass er Beschwerden hatte. Er war deutlich magerer geworden als an dem Tag, da er hergebracht worden war, doch Cosmas ahnte, dass er so weit in Form war, wie man das von einem Mann, der mit einer langen Kette an einem Pflock im Bodenangebunden war, überhaupt sagen konnte. Er betrachtete seine Fortschritte mit einiger Sorge.
Der Gefangene hörte mit seinen Übungen auf und kam kettenklirrend an den Tisch. Die Kette reichte gerade so weit, dass er sich setzen konnte. Cosmas saß am anderen Ende. Der Tisch musste einmal zu einem reicheren Haus gehört haben als der Bauernhütte im Wald, in der der Gefangene lebte; er war lang genug, dass Cosmas außer Reichweite der Hände seines Gegenübers bleiben konnte. Er zweifelte nicht, dass der Mann, wenn er ihn erwischt hätte, einen einfachen Handel vorgeschlagen hätte: Cosmas’ Leben gegen den Schlüssel zu der Kette. Cosmas zweifelte auch nicht, dass er in einem solchen Fall auf jeden Fall dem Tod geweiht gewesen wäre, denn er hätte den Schlüssel hergegeben, und dann hätten die weiße Frau und ihr Oberteufel ihn erledigt.
»Eigentlich brauchen sie dich nicht mehr«, sagte der Gefangene, der bereits mehrfach bewiesen hatte, dass seine gelassene Ruhe ihn offenbar dazu befähigte, jemandem ins Gehirn zu schauen. »Jedenfalls nicht meinetwegen. Was du sonst hier zu tun hast, entzieht sich natürlich meiner Kenntnis.«
Cosmas schwieg. Zum einen, weil es keinen gesteigerten Reiz hatte, sich mit diesem Gedanken zu befassen, zum anderen, weil er bereits mehrfach von dem Gefangenen aufs Eis gelockt und beinahe einiges von dem verraten hätte, was man ihm eingeschärft hatte, nicht preiszugeben.
»Was sagst du
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