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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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Schreiber die besten Verbindungen besaßen, die es gab, nämlich die zu anderen, ebenso neugierigen und findigen Sekretären und Schreibern, und er hatte auch jetzt recht behalten.
    Plötzlich stutzte er, wischte sich die Finger achtlos an seinem Gewand ab und blätterte ein paar Dokumente vor und zurück. Seine Augen wurden schmal.
    Hier war ein Sterbedatum. Aber der Eintrag im Kirchenregister fehlte. Es bedeutete, dass jemand gestorben, aber niemals begraben worden war.
    Er durchsuchte nochmals alle Dokumente. Er kannte den Mann, der ihn mit den Unterlagen versorgt hatte, genau, er würde nichts übersehen haben. Wenn der Eintrag ins Kirchenregister fehlte, dann gab es ihn nicht. Er war sich dieses Umstands ganz besonders sicher, weil er explizit darauf hingewiesen hatte, dass beide Dinge wichtig waren. Etwas, das Wenzel ihm in einem seiner Briefe eher am Rand mitgeteilt hatte, hatte den alten Kardinal auf die Idee kommen lassen, diese Papiere anzufordern.
    Schließlich lehnte er sich zurück und schob das Tablett beiseite. Er holte die Schreibutensilien unter der Decke hervor, drehte eines der Dokumente um und fand auf der Rückseite etwas freien Platz. Er war zu ungeduldig, den Tintenstein zu reiben, also tauchte er die Schreibfeder in den schweren Rotwein. Auf dem Papier entstand eine blassrote Zeichnung, die immer deutlicher wurde, je mehr der Wein die in der Feder vorhandene eingetrocknete Tinte auflöste. Sie sah aus wie ein Stammbaum. Der Kardinal hatte die wichtigsten Daten der einflussreichen Männer am kaiserlichen Hof im Kopf, und so entstand rasch ein vielgliedriges System aus Kästchen und Kreisen, in denen Initialen standen. Im Zentrum befanden sich zwei dick umrandete Kästchen, die durch einen Doppelring miteinander verbunden waren – das übliche Symbol für ein Ehepaar. Zu dem linken der beiden Kästchen führte eine Linie von oben, die sich kurz vorher verzweigte und zu weiteren Kästchen führte. Der Kardinal dachte nach, konsultierte einige der eingeschmuggelten Dokumente, dann zählte er an den Fingern ab. Die Feder kratzte Initialen in die zusätzlichen Kästchen: V, J, E, F und B. Jedes dieser fünf Kästchen erhielt einen Doppelring und ein Kästchen daneben und weitere Linien, die von ihnen aus ins Leere führten. Wer die Zeichnung ansah, musste erkennen, dass dem Familienbaum, der zum linken der zentralen Kästchen führte, die eigentliche Aufmerksamkeit des Kardinals galt. Zuletzt malte er neben die fünf Ehepaar-Symbole ein sechstes Kästchen, das leer blieb. Er strichelte eine Linie von diesem Kästchen zu dem linken der zentralen Kästchen. Dann dachte er nach und zog die Linie dick und immer dicker, bis sich plötzlich die Feder verbog und ihren Inhalt verspritzte. Die Kleckse aus Rotwein und Tinte sahen aus wie Blutspritzer, die sich rasch über dem mittlerweile völlig unübersichtlich gewordenen Kunstwerk verteilten.
    Er musterte seine Zeichnung. Seine Brauen sanken immer weiter herab. Beinahe ohne sein Zutun bewegte sich die Feder und schrieb in die zentralen Kästchen: ein verschnörkeltes Z in das rechte, ein ebenso kunstvolles P in das linke. Dann verharrte sie über dem einzigen noch leeren Kästchen, dem, das er zuletzt neben die fünf mit den Initialen V, J, E, F und B gesetzt hatte. Die Feder berührte das Papier und schwang in einer kleinen Kurve herum, verließ die Oberfläche und setzte einen dicken Punkt darunter. Vielleicht hatte sie zu viel Schwung gehabt. Sie spreizte sich, und der Punkt verlief und rann in den Schnörkel darüber hinein, und auf einmal verwandelte sich das Fragezeichen in das kindliche Bild eines Totenschädels.
    Der Kardinal lehnte sich zurück. Er hatte das Gefühl, die wichtigste Erkenntnis gemacht zu haben, seit er hier eingesperrt war. Aber wem sollte er sie zukommen lassen? In diesem ganz speziellen Fall fiel der Reichskanzler, der ihn ansonsten heimlich unterstützte, wo er konnte, aus. Ratlos starrte er den versehentlich zustande gekommenen Totenschädel an. Er hatte den Eindruck, dass dieser zurückgrinste. Ihm war kalt.
    Als die Wachen zusammen mit dem Leibdiener eintraten, hatte Melchior längst alle Beweise seiner heimlichen Korrespondenz versteckt. Die Schreibutensilien befanden sich in der Bauchhöhle des fast unberührten Fischs, die Dokumente hatte er unter dem Tablett eingeklemmt. Auch Kardinal Melchior konnte fingerfertig sein, wenn er genügend Zeit zum Üben hatte. Doch dann sah er überrascht auf, statt das Tablett zu

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