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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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übergeben: Der Schlossverwalter kam als Letzter herein. Er rang die Hände.
    »Es ist jemand hier, der Sie sprechen möchte, Eminenz«, sagte er.
    »Wer?« Aus dem Augenwinkel sah Melchior das fast nicht wahrnehmbare Schulterzucken des Leibdieners.
    Ein Mann betrat Melchiors komfortable Gefängniszelle. Er war grau und mager, das Gesicht eine Ansammlung von Falten und loser Haut. Doch das war es nicht, was einem als Erstes auffiel. Der Mann strahlte eine kaum beherrschte Verzweiflung und einen Hass aus, dass alles andere davon überlagert wurde. Er schien zu zittern. Melchior kniff die Augen zusammen. Es war kein Wunder, dass der Schlossverwalter selbst mitgekommen war und die Hände rang; er, Melchior, hätte den Mann auch nirgendwo alleine hingehen lassen. Auf den zweiten Blick sah er die schwarze Ordenstracht unter dem weiten Talar.
    »Du kennst mich nicht einmal mehr«, flüsterte der Besucher.
    Und dann stürzte er sich ohne Vorwarnung auf ihn.
    Das Tablett wirbelte durch den Raum und fiel zu Boden, verteilte Fischreste, den halb vollen Weinkrug und die versteckten Dokumente im Raum. Melchior stürzte zu Boden. Er hörte das Stöhnen und Keuchen des Mannes, der ihn angegriffen hatte. Irgendwie hatte er es geschafft, die dünnen Handgelenke zu packen, und hielt sie nun fest umklammert. Die Hände des Angreifers waren nach seinem Hals ausgestreckt, doch Melchior konnte verhindern, dass sie sich um ihn schlossen. Er ahnte, dass der Mann ihn nie wieder losgelassen hätte, dass seine Hände, hätte man sie ihm mit der Axt abgehauen, immer noch in des Kardinals Hals verkrallt gewesen wären. Er war so voller Hass in jeder einzelnen Faser seines Körpers, dass selbst der Tod dieses Gefühl nicht hätte verlöschen lassen.
    Doch all das war nur sekundär in Kardinal Melchior Khlesls Hirn, während er gegen den Mann in der Benediktinertracht kämpfte. Primär dachte er, dass nun seine geheime Korrespondenz entdeckt war und er keine Gelegenheit mehr erhalten würde, sie fortzusetzen. Der Gedanke machte ihn zornig, und er schaffte es, die Hände seines Gegners so weit auseinanderzudrücken, dass dieser sein Gleichgewicht verlor und langsam auf ihn heruntersank. Einen Augenblick lagen sie Wange an Wange. Melchior hörte den schluchzenden Atem des Mannes. Plötzlich wusste er, wer er war, und er war mehr schockiert über die rapide Alterung als über den Angriff.
    Dann wurde das Gewicht von ihm genommen. Die Soldaten rissen den Mann in der Benediktinerkutte von Melchior herunter und zerrten ihn ein paar Schritte davon. Der Leibdiener des Schlossverwalters half Melchior auf die Beine.
    »Ich dachte doch nicht, dass so etwas passiert!«, rief der Schlossverwalter. »Sonst hätte ich ihn nie hierher gebracht. Er ist Mitglied in der Delegation …«
    »Abt Wolfgang Selender«, unterbrach ihn Melchior ruhig.
    »Es gibt keinen Abt Wolfgang mehr«, zischte der Benediktiner, aber er hörte auf, sich zu wehren. »Es gibt kein Klostervon Sankt Wenzel in Braunau mehr. Alles, was es noch gibt, ist der Mann, der an alldem schuld ist.«
    Das Gewand von Wolfgang Selender war neu, alles andere an ihm sah aus, als wäre es durch mehr als ein Leben verbraucht worden. Melchior schüttelte den Kopf. Bei ihrem letzten Treffen in Braunau im vergangenen Jahr waren sein eigener Zorn und sein Entsetzen über das Verschwinden der Teufelsbibel noch zu groß gewesen, aber heute empfand er unvermittelt den Verlust eines Freundes. Er sah, dass die Augen von Abt Wolfgang in Tränen aus Wut und Verzweiflung schwammen.
    »Ich war glücklich«, flüsterte Wolfgang. »Ich war glücklich an der Küste, in Iona Abbey, mit dem Meeresrauschen als ständigem Choral. Alles, was ich wollte, war, dieses Rauschen eines Tages wieder zu hören.«
    »Ich bin nicht am Untergang des Klosters schuld«, sagte der Kardinal. »Und was dich und deine Mönche betrifft: Ich habe dir Schutz gesandt, sobald ich erfahren hatte, was in Braunau geschehen war. Du weißt, dass mein Neffe dabei ums Leben gekommen ist.«
    »Es waren deine Ränke, die ihn das Leben gekostet haben, nicht ich.«
    »Ich gebe dir auch nicht die Schuld daran.«
    »Aber ich gebe sie dir! Daran – und an allem anderen. Du hast stets so getan, als wolltest du den Teufel daran hindern, sein Werk zu tun!« Wolfgang streckte eine geballte Faust mit abgespreiztem Zeige- und kleinem Finger gegen ihn aus, und Melchior sah aus dem Augenwinkel, wie der Burgverwalter sich bekreuzigte. »In Wahrheit warst du sein

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