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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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Rede stellen, wenn er wieder zurück war, so viel war sicher. Und er würde sich nachher fühlen wie eine gerupfte Gans! In Gedanken hatte sie das Gespräch bereits durchgespielt.
    Aber auch wenn es ihr gelang, den Zorn auf ihren Liebsten aufrechtzuerhalten – hinsichtlich ihrer Gastgeberin sah es anders aus. Alle dem düsteren Empfangsmahl folgenden Mahlzeiten hatte Alexandra allein eingenommen, eine einsame Gestalt in dem riesigen Saal, bemüht, sich nicht einschüchtern zu lassen, und dabei jede Stunde an Boden verlierend. Niemand hatte Alexandra verboten, in der alten Burg umherzuwandern, und so war sie durch die Gänge gezogen, ein Weg durch Verfall und Vernachlässigung, auf dessen schimmel- und spinnwebenverseuchter Strecke Kunstwerke zu finden waren, die sich auch in der Burg auf dem Hradschin hätten sehen lassen dürfen. Niemand schien ihnen besondere Beachtung zu schenken. Gemälde glommen düster in den Schatten, die Leinwände wellig oder blühend mit Stockflecken. Statuen und Ziergegenstände erstickten unter staubigen Spinnweben wie Waldbäume unter Würgepflanzen.
    Zweimal war sie der Herrin dieser vermodernden Pracht begegnet. Beim ersten Mal war sie um eine Ecke gebogen, und die Frau in Weiß hatte mitten im Gang gestanden und sie ausdruckslos angesehen. Alexandra hatte nur mit Mühe einen erschrockenen Aufschrei unterdrücken können. Sie hatte gegrüßt und war gegrüßt worden, dann, nach einer langen Verlegenheitspause, war sie weitergegangen. Sie hatte die Blicke aus den grünen Luchsaugen noch im Rücken gespürt, als sie schon längst zwei Ecken weitergegangen war. Beim zweiten Mal hatte sie aus einer Fensteröffnung in einem der Erker gesehen und war überrascht gewesen, die hölzerne Brücke zum Bergfried so nahe vor sich zu haben. Ganz wie am Tag ihrer Ankunft hatte die weiße Gestalt daraufgestanden und in die Tiefe geblickt, das lange Haar um den Kopf wehend, als wäre sie eine Meduse und das Haar ein Nest von Schlangen, das zuckte und sich wand. Fasziniert und abgestoßen zugleich hatte sie sie angestarrt, bis die einsame Gestalt sich plötzlich umgedreht hatte. Erschrocken war Alexandra vom Fenster zurückgewichen.
    Ihr Anblick verstärkte jedes Mal das Gefühl von Unwirklichkeit, dem Alexandra sich von Anfang an hier ausgesetzt gefühlt hatte. Es war unheimlich, welche Kraft in einem Menschen steckte, den man bisher nur als blass strahlenden Stern an der Seite des Reichskanzlers gesehen hatte. Alexandra war immer davon überzeugt gewesen, dass sie einmal an der Seite ihres eigenen Mannes mehr sein würde als nur dessen Dekoration und dass man sie auch so wahrnehmen würde, nämlich als eine eigenständige Person. Hier war nun eine Frau, neben der jeder andere Mensch bloße Dekoration war – und im Vergleich zu ihr nicht einmal eine besonders ansehnliche.
    Alexandra kletterte eine Treppe empor, die ihrem Gefühl nach bis in den Dachstuhl des Hauptbaus führen musste. Hier gab es keine Fensteröffnungen mehr, dennoch schien ein trübes Licht von weiter oben zu kommen. Ihre Schuhe hinterließen Spuren auf den Treppenstufen. Die Treppe war aus Holz; weiter unten war sie aus Stein gewesen. Offensichtlich waren die Umbauarbeiten, mit denen versucht worden war, aus einer abweisenden Festung ein bewohnbares Schloss zu machen, nie bis hierher vorgedrungen. Die Menge an Staub auf dem Boden bewies außerdem, dass hierher auch selten einer der Bewohner Pernsteins kam. Einen Augenblick lang fühlte Alexandra sich wie an dem Tag, an dem sie mit Wenzel in den alten Keller der Ruine von »Wiegant & Wilfing« geschlichen war, und sie spürte einen Stich des Bedauerns, dass Wenzel nun nicht an ihrer Seite war. Gleichzeitig schmeckte sie das Gefühl des Kusses wieder, den er ihr gegeben hatte. Es machte sie noch verwirrter. Vielleicht wäre sie sonst umgekehrt, als sie die Quelle des Lichteinfalls gefunden hatte: ein Stück Mauer gleich unterhalb des Dachs, das zum Teil nach innen gebrochen war. Der Schutt versperrte die Treppe, aber Alexandra kletterte mehr oder weniger geistesabwesend darüber und drang in den Trockenspeicher vor.
    Hatten schon die Gänge gewirkt wie eine merkwürdige Kopie der kaiserlichen Wunderkammer, so war die Illusion hier oben komplett. Bilderrahmen stapelten sich aneinander, von zerrissenen Leintüchern nur halb bedeckt, so dass es aussah, als verbärgen sich Särge darunter. Figuren, Statuen, Kunstgegenstände, Porzellan, Glaswaren – es sah aus, als habe hier jemand

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