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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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einen Schatz aufbewahrt für eine Verwendung, die dann nie stattgefunden hatte. Der Trockenspeicher besaß in Abständen im Dach eingelassene Gauben, die mit Holzläden verschlossen waren. Einige der Läden waren herausgefallen und sorgten für eine düstere Beleuchtung, in der der Raum sich endlos zu erstrecken schien, eine Kathedralefür den toten Gott der Kunst, wobei die Tragpfosten des Dachstuhls die Säulen und die Balken darüber das Gewölbe waren. Fasziniert drang Alexandra in das düstere Universum vor.
    Die Kunstwerke waren alle im vorderen Teil des Trockenspeichers versammelt. Dahinter lag Finsternis mit einigen nur erahnbaren Formen von Ersatzbalken, Truhen und dem gelegentlichen Schimmer von Metall. Ganz am Ende der Halle sah Alexandra eine Lichtinsel und darin eine weitere tuchbedeckte Form. Auch dort schienen einige der hölzernen Läden aus den Gauben gefallen zu sein. Sie fühlte sich davon angezogen, als wäre sie ein Insekt, das zum Licht fliegt.
    Auf halbem Weg dorthin stolperte sie über etwas Hartes, das einen Schritt weit in die Dunkelheit davonrollte. Sie versuchte, die Schatten mit den Augen zu durchdringen, aber sie sah nicht mehr als eine undeutliche runde Form. Kurz entschlossen tastete sie sich zum Dach hinüber, fand eine der Gauben und nahm den Laden heraus. Sie musste blinzeln, als die Helligkeit hereindrang und ihr in die Augen stach, und sie dachte mit einem unguten Gefühl daran, dass es stets schmerzloser schien, sich an die Dunkelheit anzupassen als an das Licht.
    Das Objekt war der Kopf einer Statue, er lag auf dem Gesicht. Die Statue selbst befand sich ein Stück entfernt. Sie musste umgefallen sein, und der Kopf war abgebrochen. Alexandra spürte ein leises Ziehen im Magen, als sie sich klarmachte, dass es keinen vernünftigen Grund dafür gab, warum die Figur ausgerechnet hier lag und nicht bei den anderen weiter vorn oder warum sie von allein umgefallen sein sollte. Es war die Statue einer halb nackten Frau, gebückt und mit einem in elegantem Faltenwurf gemeißelten Tuch, das ihre Scham und einen Teil der Beine verbarg, eine Venus, die soeben den in ihren Sockel gehauenen Wellen entstieg.
    Alexandra bückte sich und drehte den Kopf halb herum. Sie sah das in einer altmodischen Frisur gemeißelte Haar, einleeres Auge, das klassische, rundbäckige Profil. Der Kopf war leichter, als sie gedacht hatte. Sie hob ihn auf und drehte das weiße Gesicht ganz herum.
    Das seitliche Licht ließ die andere Gesichtshälfte wie die eines Monstrums wirken. Ein tiefer Krater entstellte den größten Teil davon, als hätte der Aussatz das Fleisch vom Auge bis zum Mund weggefressen. Alexandra ließ den Kopf fallen. Das zerstörte Gesicht starrte zu ihr empor. Sie sprang auf und wich einen Schritt zurück. Ihr Herz hämmerte.
    Es ist nur ein beschädigtes Gesicht aus Stein, sagte sie sich. Deshalb liegt die Statue auch hier – weil man sie nie mehr aufstellen kann.
    Doch sie log sich selbst an. Das Loch im Gesicht der Venus war nicht durch einen Unfall entstanden. Sie war sicher, dass jemand ihr absichtlich diese Entstellung zugefügt hatte, so wie jemand die Statue danach geköpft hatte, als wäre es die blinde Rache eines kranken Geistes an der perfekten Schönheit des Werks. Alexandra ballte die Fäuste und bemühte sich, ruhig zu atmen. Auf einmal wünschte sie sich nur, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Sie blickte hastig zu den aufgestapelten Kunstwerken am Eingang zum Trockenspeicher hinüber, als müsse sie sich vergewissern, dass er noch vorhanden war. Dann wandte sie sich der Lichtinsel am anderen Ende des Speichers zu. Sie stellte fest, dass sie sich genau in der Mitte des Gebälks befand. Das wilde Pochen ihres Herzens ging in einen langsameren Rhythmus über, der sie zu Atem kommen ließ, aber die Beklommenheit nicht milderte. Irgendwann in den letzten Sekunden war ihre Wut auf Heinrich in sich zusammengefallen. Sie wünschte sich, er wäre jetzt hier. Sie versuchte, sich sein Gesicht vorzustellen, doch Wenzels Antlitz schob sich in den Vordergrund. Sie musterte die Lichtinsel erneut.
    Schließlich ging sie weiter, vorsichtiger jetzt. Die gefallene Venus blieb zurück wie ein stummer, toter Wächter.
    Die Lichtinsel wurde von zwei dicht nebeneinanderliegenden Gaubenöffnungen gebildet. Die Läden lagen ordentlich übereinandergelegt darunter. Sie waren nicht herausgefallen; man hatte sie bewusst herausgenommen. Die tuchbedeckte Form schien eine kleine Truhe zu

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