Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
dem Toten oben aus dem Kragen der Soutane ragte.
»Ego te absolvo« , flüsterte er. Sein Kopf war leer. Welche Antwort würde verhindern, dass Alexandra fiel?
Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr. Aus einer der Schießscharten rund um den Bergfried streckte sich vorsichtig ein Arm heraus und winkte mit einem Tüchlein. Dann verschwand er. An seiner Stelle schob sich langsam der Lauf einer Muskete durch die Öffnung und zielte auf die Brücke. Bei zwei, drei weiteren Schießscharten geschah das Gleiche. Sein Herz begann, wild zu klopfen. Das letzte Mal, dass er dieses Tüchlein in Aktion gesehen hatte, war während der Plünderungen Prags durch die Passauer Landsknechte gewesen. Andrej hatte es aus einem Fenster gehalten und die Lage so für sich entschieden.
»Es ist verbrannt!«, schrie er. »Das Original der Teufelsbibel ist verbrannt. Filippo hat es in die Hütte gebracht, in der ich gefangen gehalten wurde, und Heinrich hat die Hütte in Brand gesteckt.«
»NEIN!«
»Die Teufelsbibel ist TOT!«, brüllte Cyprian und wünschte sich, dass es wahr wäre.
»NEEEIIIN!«
Alexandra schrie auf. Cyprians Herz krampfte sich zusammen. Unwillkürlich warf er sich herum, um sie aufzufangen, wenn sie stürzte, aber es war eine irrsinnige Idee. Der Fall würde über zehn Mannslängen betragen; sie würden beide den Tod finden, wenn er sie abzufangen versuchte. Es hielt ihn nicht davon ab, genau das zu planen, in der irrsinnigen Hoffnung, dass er sich vielleicht im letzten Moment herumwerfen und mit seinem Körper ihren Sturz abmildern könnte. Wenn er die Situation im Bergfried falsch eingeschätzt hatte …
»Töte sie!«, brüllte eine neue Stimme. Es war Heinrich. Er hatte sich aufgerappelt und taumelte quer über den Kampfplatz. Agnes versuchte, sich ihm in den Weg zu stellen, aber er hatte die Überraschung auf seiner Seite. Er umrundete sie undstürzte zur offen stehenden Torkammer des Bergfrieds. Er knallte die Tür zu und schob den Riegel von innen vor.
Alexandra schrie erneut.
27
Andrej, Vilém Vlach und der Unterlandkämmerer von Mähren, Siegmund von Dietrichstein, betraten die Brücke gleichzeitig mit zwei von Dietrichsteins Soldaten. Kassandra fuhr herum. Sie hatte Alexandra rücklings gegen die Brüstung und so weit ins Freie gedrängt, dass sie unweigerlich hintenüberkippen musste, wenn sie sie losließ. Alexandra schrie vor Schreck.
»Aufhören!«, schnappte Dietrichstein. Die Soldaten, die nun nicht mehr lautlos vorgehen mussten, hatten ihre Bogen zurückgelassen. Sie legten ihre Musketen an. Kassandra stierte sie an. Ihre Schönheit traf Andrej ins Herz. Es war die Schönheit einer Wildkatze, die einem selbst dann noch Bewunderung abverlangt, wenn sie sich auf einen stürzt. Dann sah er die rothaarige Gestalt zusammengesunken neben der Brüstung liegen, sah den Armbrustbolzen aus dem Leib ragen, und seine Knie wurden weich.
»Ergeben Sie sich! Meine Männer haben den Bergfried besetzt und dringen soeben in die Burg ein. Sie haben keine Chance.«
O mein Gott, es war tatsächlich Wenzel!
Andrej vergaß alles, was er und Vilém mit dem Unterlandkämmerer besprochen hatten, und stürzte vorwärts.
28
Heinrichs Gesicht war ein einziger dumpfer Schmerz. Sein Schädel fühlte sich an, als sei er entzweigespalten. Keuchend lehnte er sich an die Tür, die Hände am Riegel. Seine Finger zitterten. Er erwartete, dass jeden Moment von außen gegen die Tür gedonnert werden würde. Sie würde eine Weile standhalten; sie war gebaut dafür, Angriffen von außen standzuhalten. Doch was konnte er tun? Die Torkammer hatte keinen Zugang zu den oberen Stockwerken, und es gab nur die eine Tür, gegen die er sich stützte. Sie brauchten sich nur draußen hinzusetzen und zu warten, bis Hunger und Durst ihn hinaustrieben.
Seine Beine gaben nach, und er rutschte an der Tür nach unten. Unerbittlich drang der Gedanke in sein Hirn, dass er verspielt hatte. Ihm wurde schlecht vor Angst. Was würden sie mit ihm anstellen? Sein Blick fiel auf die Maschine, und er schauderte. Er hatte tausendmal Schlimmeres getan als Ravaillac, und wie grässlich war dieser gestorben. Heinrich hatte gemordet, geschändet, betrogen. Wenn sie ihn an Ort und Stelle erschlugen, konnte er noch froh sein. Wenn sie ihn einem Gericht auslieferten, würde dieses zu einem Urteil kommen, das ihn zu einer Fahrt auf dem Schinderkarren verdammte, während der ihm mit glühenden Zangen das Fleisch aus dem Leib gerissen wurde, und auf dem
Weitere Kostenlose Bücher