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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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gewesen. Sie hatte den Besuch zu Anfang lallend besabbert, später voll ernster Gewissenhaftigkeit mit Dingen beworfen und schließlich als eine Art peinlichen älteren Bruder betrachtet, dem man einen Tritt ans Schienbein versetzen musste, wenn er einem auf die Nerven ging. Wenzel hingegen konnte sich nicht erinnern, dass er sie zu irgendeiner Zeit anders als absolut hinreißend empfunden hätte.
    »Alles, was aus dieser Wunderkammer kommt, bringt Unglück.«
    »Zum Beispiel …?«
    Andrej ging zu Wenzels Enttäuschung nicht in die Falle. »Wenn es das Kuriositätenkabinett nicht gegeben hätte, wäre Rudolf gezwungen gewesen, sich der Wirklichkeit zu stellen, und das Kaisertum hätte nicht diesen tiefen Fall getan.«
    »Was soll ich jetzt damit anfangen?«
    »Meinetwegen behalt es. Aber behalt es auch für dich, und zeig es nicht herum.«
    »Danke.«
    »Wenzel?«
    »Ja?«
    »Was hast du sonst noch dort gefunden?«
    »Außer dem Horn? Zerbrochene Bilderrahmen … einen Haufen Scherben … Muscheln … Nüsse … eine sah tatsächlich aus wie ein …«
    »Ja, ja, ich kenne diese Nüsse. Bücher?«
    Wenzel hörte die ganz kleine Nuance, um die die Stimme seines Vaters von ihrem normalen Timbre abwich.
    »Bücher? Nein.«
    »Na gut.«
    Wenzel kam bis zur Tür.
    »Wenzel?«
    »Ja?«
    »Geh nicht mehr dorthin.«
    Wenzel gab keine Antwort. Er hätte es gehasst, seinen Vater anzulügen. Er wusste längst, dass er wieder zu der einsamen Stelle zu Füßen des Schlosses gehen würde, vorbei an den moosüberwucherten Statuen und verstopften Brunnen, für die sich niemand mehr interessierte, vorbei an den in Bäumen hängenden leeren Käfigen, in denen, wenn man dem Klatsch glaubte, Rudolf die Alchimisten hatte verrotten lassen, die versucht hatten, ihn zu betrügen.
    Und nun war er wieder hier, zum fünften oder sechsten Mal bereits, schwitzend in der warmen Junisonne, vorsichtig über das Gewirr aus Ästen und Wurzeln kletternd. Alles, was er bei den letzten Besuchen hier gefunden hatte, waren weitere Scherben gewesen, eine Unmenge bizarrer Schneckenhäuser, zerbrochene Gläser, in denen nach Alkohol und Verwesung riechende Flüssigkeitsreste klebten, und zerrissene Leinwände von Gemälden. Es war kein einziges Buch dabei gewesen. Wenzel war mittlerweile nahe daran, die Hoffnung aufzugeben.
    Etwas blinkte in der Sonne. Wenzel kniff die Augen zusammen. Gold? Hatte irgendeine Hofschranze vergessen, eine Fassung von einem der Naturwunder zu brechen? Andrej und Wenzel waren nicht arm, aber ein schönes Stück goldenen Schmucks zu finden … Sein Vater würde lächeln, wenn er es nach Hause brächte, und erklären, dass er daran keinen Anteil habe und es ganz allein Wenzel gehöre, und Wenzel könnte es zu einem Goldschmied bringen und einen Anhänger oder einen Armreif daraus machen, etwas Kleines, Feines, etwas für eine junge Frau … für Alexandra, nur so, aus vetterlicher Hochachtung …
    Er fasste zwischen die Äste, unter die das metallene Ding gerutscht war, und zerrte es nicht ohne Mühe heraus. Es hatte die Größe einer Spieluhr, eine vage quadratische, phantastisch ornamentierte Form und war erstaunlich schwer. Vor allem glomm es mattgolden wie das Hauptstück einer Schatzkammer. Er schleppte es erregt ein Stück weiter nach oben, wo das Licht besser war.
    Es sah aus wie ein ganz und gar fehlgeschlagenes Modell für den Sockel einer Statue – drei Ebenen übereinander, wie die Stufen einer Pyramide. Rädchen, Spindeln und Zahnkränze bildeten eine verwirrend geometrische Verzierung auf der Vorderseite. Auf der obersten Ebene lagen zwei Figuren auf der Seite, dem Betrachter den Rücken zuwendend. Es sah aus, als wären ihre Gliedmaßen einzeln zusammengesetzt. Über die Oberfläche der letzten Stufe zogen sich Spalten; sie führten zu den Figuren, hinter denen sie verschwanden. Wenzel probierte, ob die Figuren sich auf den Rücken drehen oder von der Oberfläche lösen ließen, aber obwohl es aussah, als lägen sie nur lose darauf, ließen sie sich nicht bewegen. Er schüttelte das Ding vorsichtig – in seinem Innern erklang etwas wie ein kompliziertes Glockenspiel. Von dem Gedanken, dass es aus Gold sein mochte, hatte er sich bereits verabschiedet. Die Figuren und auch die Oberfläche des letzten Sockels zeigten besonders um die Spalten herum abblätternde Goldfarbe und darunter einfaches Blech. Er schüttelte es erneut. Ein kleiner Schlüssel, den er bislang übersehen hatte, löste sich aus seiner

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