Die Wächter Edens
lügst, Gefallener«, sagte Vincent verächtlich. »Wie du schon damals gelogen hast.«
Wieder seufzte Nathan. »Willst du wirklich darüber sprechen? Ich wollte ihren Tod nicht, das musst du mir endlich glauben.«
»Die Menschen glauben, Nathan«, sagte Vincent trocken. »Wir Engel wissen.«
»Dann wisse, Bruder, dass ich diese Welt bald verlasse. Ich ertrage die Trostlosigkeit nicht länger.«
»Du kannst jederzeit ein sterbliches Leben wählen«, sagte Vincent. »Werde einer von ihnen, genieße deine kurze Lebensspanne und stirb in Frieden. Er wird dich dann wieder empfangen.«
»Es gibt Dinge, die ich als Sterblicher nicht tun kann«, hielt Nathan dagegen.
»Umgibst du dich deshalb mit Luzifers Lakaien?«, fragte Vincent direkt.
Nathan lächelte schmal. »Du irrst auf so viele Weisen, Vincent. Vielleicht lebst du auch schon zu lange unter den Menschen.«
»Ich werde so lange unter ihnen leben, wie es dauert, sie vor dir zu schützen.«
Nathan nickte. »Und wie viele von ihnen hast du in den letzten Jahrhunderten bereits gerichtet? Wie viele sind durch deine Hand gestorben?«
Vincent zuckte die Achseln. »Ich habe ihre Seelen vor Dämonen gerettet. Ich habe ihnen die Ewigkeit an Seiner Seite ermöglicht.«
Wieder nickte Nathaniel. »Eine gelungene Rechtfertigung … Aber, sag mir, Bruder, waren sie denn alle Sünder?«
Vincent schnaubte verächtlich. »Durch Luzifers Makel hatten sie gar keine andere Wahl. Ergreift ein Dämon einmal Besitz von seinem Wirt, ist die Seele verloren.«
Nathan lächelte traurig. »Du bist hart geworden in deinem Hass, Bruder.«
»Hart gegen dich, ja«, fuhr Vincent dazwischen.
»Hart gegen die Menschen«, berichtigte Nathan.
Vincent schüttelte schnaubend den Kopf. »Ich tue, was immer nötig ist, um sie zu beschützen.«
Nathan lächelte gutmütig. »Wirst du mich verfolgen, wenn ich dich jetzt verlasse, um Celines Grab noch einen Besuch abzustatten?«
Vincent seufzte. »Nicht heute. Nicht an diesem Tag, das weißt du.«
»Dann leb wohl, Bruder«, sagte Nathaniel leise und stand auf. »Du solltest ihr Blumen bringen, das würde sie freuen.«
Er schenkte Vincent noch ein trauriges Lächeln, dochseine makellosen Züge konnten den Engel nicht täuschen. Vincent packte Nathan am Arm. »Wenn du endlich Buße für ihren Tod leisten willst, dann triff mich hier um Mitternacht.«
»Ich büße bereits jeden Tag«, sagte Nathan und ging.
Vincent tippte mit der Linken gegen das Ohrmikro: »Lasst ihn gehen.«
»Aber … Vincent?«, ertönte Shanes Stimme. Der Paladin schien überrascht und enttäuscht.
Vincent seufzte. »Ihr könnt ihn nicht aufhalten. Und ich werde ihn heute nicht jagen. Also lasst ihn gehen.«
»Verstanden.«
So viele Jahre schon , dachte Vincent und zog sich das kleine Mikrofon aus dem Ohr. Die Technik ändert sich, aber wir bleiben dieselben, nicht wahr? Er blickte beinahe Hilfe suchend zu der kleinen Marienstatue. »So viele Jahre …«, flüsterte er.
Einige Minuten später hörte er, wie das Kirchentor erneut geöffnet wurde. Schwere Stiefelabsätze traten in rascher Folge auf dem Granit auf, und Vincent begrüßte die Person, ohne den Blick von der Marienstatue abzuwenden. Er konnte ihren Herzschlag deutlich fühlen und auch, dass sie in seiner Gegenwart zunehmend nervöser wurde. Ihr Atem beschleunigte sich und sie geriet ganz leicht ins Schwitzen.
Noriko schwärmte für ihn, das war für Vincent kein Geheimnis. Doch er würde sich solche Gefühle niemals wieder gestatten. Zum Glück für die Frau legte sie ihre Nervosität bei der Jagd ab, sonst wäre sie im Kader der Paladine nicht von Nutzen.
»Weshalb störst du mich, Noriko?«, fragte Vincent tonlos.Er blickte sie noch immer nicht an, wusste aber, dass seine Worte ihr einen Stich versetzten.
»Alfred hat sich gemeldet«, sagte sie mit kontrollierter Stimme. »Der Neue ist schon angekommen und wartet im Nest.«
»So früh also«, bemerkte Vincent. »Er sollte Rom doch erst in zwei Tagen verlassen.«
»Anscheinend wollte man das Team möglichst rasch wieder ergänzen«, vermutete Noriko.
Vincent stand auf und verbeugte sich ehrfürchtig vor der Marienstatue. Dann wandte er sich zu Noriko um. In Straßenkleidung war von der harten Kämpferin, die er vier Jahre zuvor in Japan rekrutiert hatte, nichts mehr zu erkennen. Die Kurzhaarfrisur ließ sie auf den ersten Blick jungenhaft wirken.
»Shane wartet im Van«, sagte sie, um ihr Unbehagen zu kaschieren. Dass er sie so ansah,
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