Die Wächter Edens
restlichen Zimmer führten. Arienne steuerte zielsicher ihr altes Kinderzimmer an.
In der Tür blieb sie stehen. Auf dem Boden saß sie selbst, aber als kleines Kind. Sie war vielleicht vier Jahre alt.
Die Kleine schaute zu ihr auf: »Schön, dass du mich besuchst.« Dann widmete sie sich wieder ihren Bauklötzen.
Arienne wollte etwas erwidern, doch ihr blieben die Worte im Halse stecken. Diese Bauklötze hatte ihr Vater für sie angefertigt, fiel ihr wieder ein. Er hatte sie ihr zum dritten Geburtstag geschenkt. Sie waren in leuchtenden Farben lackiert und in beinahe allen nur erdenklichen Formen vorhanden. Der ganze Sack voller Bauklötze war damals größer gewesen als Arienne selbst.
Immer mehr Erinnerungen kehrten zu Arienne zurück. Dies war der Tag! Der Tag, an dem ihr Vater gestorben war. Als die Türklingel läutete, erkannte sie, dass es sogar jener bestimmte Augenblick war.
Das Bild veränderte sich ein wenig. Die kleine Arienne schien mit einem Mal von warmem Licht umhüllt zu sein. Der ganze Raum wirkte lichtdurchflutet. Arienne schirmte die Augen mit den Händen ab, versuchte weiterhin etwas zu erkennen, aber es war einfach zu grell.
»Ich hatte gehofft, dich einmal wiederzusehen«, fuhr die Kleine ungerührt fort. »Vater sagte mir, dass du früher oder später wieder zu uns zurückkommen würdest.« Sie blickte wieder von den Bauklötzen auf. »Setz dich doch zu uns.«
»Uns?«
Die Kleine nickte. »Zu Papa und mir.«
Arienne wollte erwidern, dass ihr Vater tot sei und die Kleine von nun an eine Halbwaise. Doch etwas hielt sie zurück. Das Licht hielt sie zurück.
»Hab Vertrauen, Prinzessin«, hörte sie plötzlich die tiefe und warme Stimme ihres Vaters. »Ich werde immer über dich wachen, das verspreche ich.«
Arienne kannte die Worte. Mit einem Mal erinnerte sie sich daran, dass ihr Vater sie an jenem Tag ausgesprochen hatte. Es war tatsächlich fast so, als wäre er im Raum.
»Papa«, schluchzte sie. »Warum hast du uns verlassen?«
Das Licht breitete sich aus, umhüllte sie und linderte ihrenSchmerz. »Aber ich bin immer bei dir, mein Schatz. Ich war bei dir, als du geboren wurdest, ich habe dich beschützt, als sie dir von meinem Tod erzählten. Und als du aufgeben wolltest, da habe ich dich gerettet.«
Arienne fühlte, dass sie schreien wollte. Sie wollte weglaufen, doch ihre Beine versagten den Dienst.
Die Szene verschwamm vor ihren Augen, veränderte sich zu etwas völlig Neuem. Sie war plötzlich in ihrer alten Grundschule. Schüler aller Altersklassen drängten sich durch die Flure, doch sie stand abseits an der Wand. Sie umklammerte ihre Schultasche mit beiden Händen und unterdrückte leise ein Schluchzen.
Eine Lehrerin wurde auf sie aufmerksam und beugte sich zu ihr hinunter. »Kleine, was hast du denn?«
Arienne deutete auf ein verglastes Atrium, in dem der Hausmeister gerade das Unkraut jätete. »Da ist ein Monster.«
Die Lehrerin folgte mit den Augen der Richtung ihres ausgestreckten Fingers und sagte dann mit gespielter Furcht. »Dann sollten wir dem lieben Herrn Maier aber schnell Bescheid sagen, nicht wahr?«
Arienne schüttelte den Kopf. »Er ist das Monster.«
Die Lehrerin blickte sie verwirrt an, doch die erwachsene Arienne, die die Szene genau beobachtete, blickte weiter ins Atrium. Sie erinnerte sich noch genau an diesen Tag. Damals hatte man sie zum ersten Mal zu einem Kinderpsychologen geschickt.
Herr Maier drehte sich zur Scheibe und grinste Arienne breit ins Gesicht.
Sie runzelte verwirrt die Stirn, denn in ihrer Erinnerung hatte der Mann sich nicht noch einmal umgedreht. Sie hatte ihn damals für ein Monster gehalten, sich schreiendauf den Boden geworfen und geweint. So lange, bis ihre Mutter kam.
Herr Maier grinste noch immer. Und noch ein wenig breiter.
Ein eisiger Schauer lief Arienne über den Rücken, als das Grinsen breiter und breiter wurde, die Haut um die Mundwinkel herum auseinanderriss und die Lippen zu dünnen Fäden gedehnt wurden. Scharfe Reißzähne blinkten in seinem Gebiss, und eine schwarze Zunge fuhr genüsslich über jede einzelne Spitze.
Das schüttere Haar fiel ihm büschelweise aus, als die Kopfhaut darunter verfaulte und wie spröder Lack von einem Holzstuhl einfach von seinem Schädel abblätterte. Seine Augen sanken tief in ihre Höhlen ein und betonten die spitzen Wangenknochen des fast blanken Schädels.
Sein Blick wandelte sich von freundlich zu lüstern und er fixierte sie aus zwei rot glühenden Pupillen. Mit
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