Die Wächter Edens
Vincent dabei einen Tritt gegen das Kinn, der den Engel von den Beinen riss.
Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde und Vincent war wieder auf den Beinen, doch von Nathaniel fehlte jede Spur.
Er hörte noch seine Stimme nachhallen. »Wir haben beide versagt. Aber wir können die Menschen noch immer retten.«
Vincent spuckte verächtlich aus und wandte sich dem Imp zu. »Die Menschheit ist verdammt. Weil Kreaturen wie du einen Weg ans Tageslicht finden«, sagte er kalt. Die Kreatur wand sich am Boden und jaulte vor Schmerz. Frühermochte sie einmal menschlich gewesen sein, doch die Berührung mit Luzifers Lügen hatte sie verändert. Fast durchsichtige Haut zog sich zum Zerreißen gespannt über blaue Adern. Ein Gebiss voll scharfer Zähne dominierte das Gesicht, und der Gestank von Schwefel und Teer erfüllte die Luft.
Vincent rüttelte ein wenig an der Eisenstange, die seinen Gefangenen pfählte, was dem Imp ein gequältes Stöhnen abrang. »Nun werden wir uns unterhalten.«
Elf
E ine laute Werbeansage aus dem Radio riss sie aus dem Schlaf. Instinktiv griff Arienne nach dem Wecker und drückte auf den Snooze-Schalter. Noch ein paar Minuten , dachte sie erschöpft. Nicht selten meldete sie sich am Tag nach einer »nächtlichen Attacke«, wie sie die Albträume nannte, auf der Arbeit krank, um über den Tag die Erholung zu bekommen, die sie nachts verpasst hatte.
Außerdem drohten die Träume stets, sie in ein Loch zu werfen. Eines, aus dem sie normalerweise mithilfe ihrer Tabletten wieder herausklettern konnte, doch die Pillendose war leer. Ich muss mich dieser Sache heute stellen , dachte sie. Ich bin nicht verrückt. Ich bin nicht verrückt. Es sind bloß Träume.
»Papa«, schluchzte sie unwillkürlich. Plötzlich erinnerte sie sich wieder an ihre Kindheit. Wie oft man sie zu verschiedenen Ärzten geschleppt hatte, die ihr alle eine andere Störung nachgewiesen hatten. Traumatisierung, Stress, Hyperaktivität, Autismus, Epilepsie, Schizophrenie – Arienne hatte die ganze Liste durch. Eine Psychotherapie hatte auch keine Erfolge erzielt, bis man ihr Psychopharmaka verschrieben hatte. Von da an waren die Bilder ausgeblieben. Und über die Zeit hatte Arienne gelernt, mit dem leichten Gefühl der Taubheit im Kopf zu leben.
»Noch ein paar Minuten.«
Die Werbeeinblendungen kehrten zurück, gefolgt vom Verkehrsfunk, und die durch die schlechten Boxen leicht kratzigen Stimmen ließen sich nicht länger ignorieren.
Arienne rollte sich zurück, griff nach dem Wecker und sah auf die Uhr. Es war schon kurz nach neun.
Mit einem Mal war sie hellwach. Jetzt erkannte sie auch, was sie geweckt hatte: die Türklingel.
»Scheiße, Tom!«, zischte sie und schlug die Bettdecke zurück. Eine Gänsehaut überlief sie, als sie bemerkte, dass die Heizung wohl die ganze Nacht über nicht funktioniert hatte.
»Scheiße, scheiße!«, fluchte sie und sprang aus dem Bett.
Das Sturmklingeln hatte aufgehört, dafür tanzte ihr Handy nun über die Kommode, denn sie hatte es am Abend zuvor auf Vibration eingestellt. Arienne griff danach und nahm ab.
»Wo bist du?«, fragte Tom unumwunden. »Ich stehe hier vor deiner Wohnung und friere mir den Arsch ab.«
»Verschlafen, sorry«, sagte sie zerknirscht. »Ich bin gleich unten, ja?«
»Nein«, sagte Tom, und Arienne konnte nicht heraushören, ob er wütend war oder lediglich genervt. »Lass mich hoch, ich hab Frühstück dabei.«
»Okay, aber ich muss mich noch anziehen.«
»Ich verspreche artig zu sein«, flachste Tom und betätigte erneut die Türklingel, um seiner Forderung ein wenig mehr Nachdruck zu verleihen. »Los, die Brötchen sind bestimmt gleich erfroren.«
Arienne huschte auf Zehenspitzen – sie wollte jeden Kontakt mit dem kalten Fußboden vermeiden – zur Gegensprechanlage und drückte den Summer. Unten sprang die Haustür auf.
Sie legte beim Handy auf und eilte ins Bad. Dort hatte sie bereits ihre Klamotten für heute zurechtgelegt. Die Socken hingen über der Heizung. »Guter Plan, schlechte Durchführung«, sagte sie, als sie sich die kalte Wolle griff. Ab wann kann man eigentlich die Miete kürzen? , schoss es ihr durch den Kopf, während sie ihre restlichen Klamotten anzog.
Tom klopfte an die Wohnungstür.
»Moment!«, rief sie laut. Heute war er wirklich schnell oben. Sie öffnete die kleine Tablettenflasche und schüttete sich die letzte Pille in die Hand. Mist, ich brauche ein neues Rezept , ärgerte sie sich über ihre Vergesslichkeit.
Sie
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