Die Wächter Edens
lächelte zwar wie immer, doch Toni glaubte, die Anspannung hinter der Fassade förmlich riechen zu können.
»Bewaffnet euch, wie immer ihr wollt«, sagte Vincent. »Wir müssen zu Franck.«
Noriko seufzte, doch Shane fand deutlichere Worte. »Bitte nicht, ich hasse den Franzosen!«
»Ich weiß«, sagte Vincent. »Aber Nathan wird ihn heute besuchen.«
Noriko legte den Kopf schief. »Hältst du es für eine gute Idee, bei Franck aufzutauchen?«
»Ja, und ihm dann womöglich noch die Bude zu Kleinholz zu verarbeiten?«, ergänzte Shane.
»Nathan wird dort sein«, war die einzige Antwort, die Vincent darauf gab.
»Wer ist Franck?«, wagte Toni zu fragen.
»Erinnerst du dich noch an die Geschichte über den verrückten Gargoyle in Paris?«, lachte Shane. »Franck war sein Bruder.«
»Bruder?«, fragte Toni ungläubig. Der Gedanke einer lebendigen Steinstatue, die Familie hatte, war bizarr.
Shane winkte ab. »Sie bewachten dieselbe Kirche. Standen gemeinsam auf derselben Mauerkante.« Er bemerkte an Tonis Blick, dass seine Erklärung nicht ausreichend war. »Gargoyles definieren ihre Familie über das Objekt, das sie schützen.«
Toni nickte langsam.
»Ich hole die panzerbrechende Munition«, sagte Noriko und verschwand durch die Seitentür.
Kurz darauf kam sie mit einer braunen Tragetasche wieder die Treppe hoch.
»Oh, du hast Geschenke dabei? Ist denn schon Weihnachten?«, feixte Shane.
Noriko verdrehte die Augen. »Hilf mir lieber.«
Sie verteilte die Magazine mit panzerbrechender Munition und Toni lud seine Waffe durch. »Wird das helfen?«, fragte er mit skeptischem Blick auf die Pistole, denn es war trotz allem kein schweres Kaliber.
Shane zuckte mit den Schultern. »Wir können da schlecht mit Granaten oder ’nem Raketenwerfer aufkreuzen. Franck wohnt mitten in der Innenstadt.«
»Bringen wir’s hinter uns«, sagte Noriko und ging voran.
Als Toni die Wagentür schloss, blickte er noch einmal zur Kirche zurück. Wie kann ich Alfreds Predigt anhören und dann losziehen, um zu töten? Das hat nicht viel von Nächstenliebe , dachte er.
»Also dann, auf zum Franzosen«, sagte Shane seufzendund schob die CD ins Autoradio. Kurz darauf ertönte »Heroes« von David Bowie aus den Boxen, was Noriko mit einem dankbaren Nicken quittierte.
Der Van zockelte die verschneiten Straßen entlang, wobei Shane seine liebe Mühe hatte, das Auto ruhig zu halten.
Die kleinen Reihenhäuschen ihres Randbezirks wichen immer tieferen Häuserschluchten, die von den größeren Wohnkomplexen und Geschäftsgebäuden gebildet wurden. Erleuchtete Schaufenster priesen Waren an, die zu dieser Uhrzeit niemand mehr kaufen konnte, da die Geschäfte schon geschlossen hatten.
Das Lichterspiel der Farben war mannigfaltig. Über Rot bis Blau, grell zu gedimmt war alles vertreten. Die blaue Beleuchtung mochte Toni nicht, denn sie schien immer unwirklich über dem Schild zu schweben. Und wenn man den Kopf bewegte, dann bewegte sich auch die blaue Schrift ein Stück weit mit.
So viele Menschen , dachte Toni. Schlafen bald friedlich in ihren Betten, erwarten einen neuen Morgen. Und wenn wir versagen? Wird es dann noch ein Morgen geben?
Er fragte sich auch, ob ihm der Anblick eines lebendigen Wasserspeiers ebenso viel Angst einjagen würde wie die ersten Begegnungen mit Dracula und dem Dämon.
Selbst Vincent schien gedankenverloren zum Fenster hinauszustarren. Was wohl in ihm vorgeht? , fragte sich Toni. Zweifelt er jemals an seiner Aufgabe? An sich selbst? Verfolgen ihn die Toten in seinen einsamen Stunden? Haben Engel ein Gewissen?
Falls Vincent ein Gewissen besaß, das ihn plagte, dann verbarg er es gut.
»So habe ich die Stadt noch nie gesehen«, rutschte es Toni über die Lippen.
Noriko stimmte ihm mit einem Kopfnicken zu. »Ja, alles wirkt nachts so friedlich.«
»Zu schade, dass wir den schönen Abend bei dem beknackten Franzosen verbringen müssen«, schnaubte Shane. »Wir könnten auch ein paar Burger organisieren und ein bisschen durch die Stadt fahren.«
»Das wäre mir auch lieber«, überraschte Vincent sie alle. »Franck wird nicht gut auf mich zu sprechen sein.«
Shane kicherte. »Du hast seinem Bruder den Kopf abgeschlagen, was erwartest du?«
Ein schmales Lächeln schlich sich, sehr zu Tonis Verwunderung, auf Vincents Lippen. »Nachdem Franck uns gesagt hatte, dass sein Bruder die Seiten gewechselt hat.«
»Vermutlich quält ihn also auch noch ein schlechtes Gewissen«, ergänzte Shane. »Wer hätte
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