Die Wächter Edens
Kirchengeschichte eben«, antwortete sie. »Nichts Besonderes.«
»Das ganze Zeug ist nur für die ganzen Nichtwisser interessant«, warf Shane ein. Selbst durch sein Flüstern hindurch konnte man das breite Lächeln in seinem Gesicht hören. »Da vorne ist das Treppenhaus. Bist du bereit für den Gargoyle, Toni?«
Toni zuckte mit den Schultern. Es dauerte eine Sekunde,bis er realisierte, dass Shane ihn kaum sehen konnte. »So bereit, wie ich nur sein kann«, schob er schnell hinterher. »Warum haben wir eigentlich nicht die Nachtsichtgeräte mitgenommen?«
»Franck würde uns blenden«, erklang Norikos Stimme plötzlich neben ihm, obwohl sie bisher hinter ihm gelaufen war. »Er macht sich einen Spaß daraus. Alfred wäre dabei beinah mal auf einem Auge erblindet.«
»Dieser Franck scheint ja ein echt netter Kerl zu sein.«
Shane unterdrückte ein Lachen. »Er ist eben einer dieser frustrierten Langzeitarbeitslosen. Und dann auch noch ziemlich alt.«
»Seid jetzt still«, sagte Vincent leise, als sie die Tür zum Treppenhaus erreichten.
Toni hörte, wie Shane und Noriko ihre Waffen entsicherten, und er beeilte sich, seine eigene Pistole feuerbereit zu machen. Was immer uns dort oben erwartet, es wird mir keine Angst machen , ermutigte er sich selbst. Wie zur Beruhigung legte er den Sicherungshebel der Pistole mit einem leisen Klicken um.
Die Treppe war aus altem Holz gearbeitet, die Stufen bogen sich zur Mitte hin durch. Viele Stellen hatte man bereits mit neuen Brettern ausgebessert und das Geländer schien auch neueren Datums zu sein.
»Psst, hört ihr das?«, fragte Shane und bedeutete ihnen still zu sein.
Toni lauschte angestrengt ins Dunkel und nickte wenig später. »Stimmen«, sagte er.
»Scheint, als würde Franck sich unterhalten«, stellte Noriko fest.
»Nathaniel.«
Toni bemerkte verwundert, dass Vincents Stimme voller Hass war. Zu seinem Erstaunen knarrte die Treppe nichtein bisschen, als sie den Aufstieg begannen. Irgendwo in seinem Gehirn breitete sich die Panik aus. Panik, dass er in wenigen Augenblicken einem lebendigen Wasserspeier begegnen, Panik, dass er möglicherweise einem zweiten Engel gegenübertreten würde.
Und vor allem Panik darüber, dass er vermutlich auf beide schießen würde.
»Sollen wir direkt das Feuer eröffnen?«, fragte Shane. Er hatte auch diesmal wieder die kleine Maschinenpistole mitgenommen.
Vincent schüttelte den Kopf. »Ihr haltet Franck in Schach. Ich kümmere mich um Nathan.«
Toni fühlte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Das Treppenhaus war kalt und zugig – irgendwo musste ein Fenster offen stehen oder undicht sein. Und dennoch hatte Toni das Gefühl, durch brütende Hitze zu waten.
»Was glaubt ihr, worüber die reden?«, fragte Shane und schlich sich eine Stufe weiter nach oben.
»Das werden wir herausfinden, wenn wir oben sind«, sagte Noriko genervt, »also, beweg dich!«
Langsam arbeiteten sie sich weiter dem obersten Stockwerk entgegen. Mit jeder Stufe wurden die Stimmen lauter und schon bald konnten sie einzelne Sätze verstehen.
»Die Zeit drängt«, sagte eine wohlklingende Stimme, die Toni instinktiv Nathaniel zuordnete, da sie ihn ähnlich stark in ihren Bann schlug wie die Vincents.
»Du verlangst zu viel«, antwortete eine dunkle Stimme, die wie aufeinanderschlagende Felsbrocken klang. Dennoch musste Toni sich das Lachen verkneifen, denn gleichzeitig legte der Sprecher einen dieser schrecklichen französischen Akzente an den Tag. Das ist dann wohl Franck .
»Du bist es mir schuldig«, sagte Nathan.
»Niemand hasst Vincent so sehr wie ich«, versicherteFranck. »Aber du kannst nicht von mir verlangen, mich gegen ihn zu stellen.«
Sie standen auf dem letzten Treppenabsatz. Zehn Stufen über ihnen war eine offene Tür, durch die sie die Unterhaltung belauscht hatten.
Vincent ließ nun alle Vorsicht fahren. Er stürmte an Shane vorbei, nahm mehrere Stufen auf einmal, fast als würde er fliegen, und sprang mit einem Satz in den hinter der Tür liegenden Raum.
»Los!«, rief Shane und rannte dem Engel hinterher.
Sie stürmten das obere Stockwerk. Toni hatte eine Art leere Halle erwartet, allenfalls noch eine Abstellkammer, in der man aktuell nicht ausgestellte Exponate verwahrte wie den Gargoyle selbst. In seinem Kopf war eine lebende Steinstatue eher ein Gegenstand als ein lebendes Wesen.
Umso überraschter war er, als er durch die Tür in eine Art Loft kam. Armdicke Kerzen auf alten gusseisernen Kerzenständern tauchten
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