Die Wächter Edens
wieder ein wenig beruhigt hatte.
Arienne reagierte nicht, starrte einfach nur aus dem Fenster.
»Hast du?«, wiederholte er die Frage lauter.
Sie nickte stumm, hielt den Blick aber starr in die Ferne gerichtet.
Toms Husten verstärkte sich, je mehr Adrenalin sein Körper abbaute. Er hielt vor Ariennes Haus. »Da wären wir«, sagte er.
Als sie wieder nicht reagierte, packte er sie an der Schulter und schüttelte sie sanft.
»Ari! Wir sind da.«
»Wie?« Sie blickte umher, als wäre sie gerade aus einem Traum erwacht. »Wo sind wir?«
Tom lachte nervös. »Wir sind bei dir zu Hause … Herrje, Mädchen, was hat dich denn aus der Bahn geworfen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich … ich weiß es nicht.«
Tom seufzte. »Kannst du die Aufnahme bis morgen durchgehen? Vielleicht kannst du mehr rausholen, als ich verstehen konnte.«
»Ich … In Ordnung.« Sie öffnete die Tür, wobei ihre Bewegungen mechanisch und abgehackt wirkten, und stieg aus.
Tom hielt sie zurück. »Hey, ist wirklich alles okay mit dir?«
Arienne blickte zu ihm zurück und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, sagte sie mit verwirrter Stimme und verschwand durch die Haustür.
Tom blieb noch eine Weile reglos im Wagen sitzen und starrte auf das Hochhaus, wobei die Stille nur von seinen wiederkehrenden Hustenanfällen unterbrochen wurde. Er befühlte seine Stirn. Eindeutig Fieber , dachte er missmutig. Tom startete den Wagen und fuhr los. Ich muss ins Bett.
Er drehte die Lautstärke des Radios auf, als darin gerade »Dead Flowers« von Townes Van Zandt gespielt wurde. Er trommelte leicht zum Takt auf das Lenkrad, um sich weiter abzulenken.
*
Arienne wartete eine Weile im Wagen und lauschte in ihr Handy. Keiner der Passanten schenkte der jungen Frau Beachtung.
»Sie sind reingegangen«, flüsterte Tom am anderen Ende der Leitung.
»Sei vorsichtig«, bat sie ihn erneut, wusste aber nicht, ob er ihr überhaupt zuhörte.
Die Warterei machte sie beinahe verrückt. Seit Toms letzter Meldung war noch nicht einmal eine Minute vergangen, doch es erschien Arienne wie eine Ewigkeit.
Sie trommelte nervös mit den Fingern auf das Armaturenbrett und versuchte sich so abzulenken. Immer wieder kontrollierte sie das Display ihres Handys, ob die Aufnahme des Telefonats tatsächlich mitlief und der Akku noch ausreichte. Wie lange wird das dauern? , fragte sie sich. Hoffentlich geschieht Tom nichts. Hoffentlich muss er nicht husten.
»Sie gehen hinauf. Untersteh dich, auch nur einen Ton zu sagen«, flüsterte Tom plötzlich durch das Telefon. Seine Stimme klang dumpf, als würde er heimlich unter der Bettdecke telefonieren.
Sie konnte den Wunsch verstehen, doch Arienne hielt es nicht länger im Wagen. Sie zog den Zündschlüssel ab. Tom hatte ihn stecken lassen für den Fall, dass sie schnell verschwinden mussten. Arienne erschien es aber klug, den Schlüssel einzustecken. Lieber brauchen wir ein paar Sekunden länger, als dass uns jetzt ein paar Kids das Auto klauen , dachte sie.
Der kalte Wind schnitt ihr durchs Gesicht und die klirrend kalte Luft schmerzte beim Atmen.
Sie blickte zum Museum und fragte sich, wo Tom jetzt genau war und ob die Killer ihn am Ende bemerkt hatten und in eine Falle lockten. Bitte, sei vorsichtig. Bei Gott, ich hoffe, dir passiert nichts.
Das Dachgeschoss des Museums war taghell erleuchtet. Da verschwendet jemand aber keinen Gedanken an seine Stromrechnung , dachte sie. Das Licht drang durch Fenster und kleinste Mauerritzen hindurch, bemerkte sie. Als hätte man eine kleine Sonne unter den Giebeln des Museums aufgehängt. Mit einem Mal fühlte sie sich von Wärme durchflutet und der kalte Wind schien sich gelegt zu haben.
Sie hielt das Handy wieder an ihr Ohr, doch Tom sagtenichts. Allerdings hörte sie leise Stimmen, konnte jedoch kein Wort verstehen.
Irgendwo über ihr ging mit lautem Klirren eine Fensterscheibe zu Bruch. Arienne hob instinktiv die Arme über den Kopf. Zwanzig Meter weiter vorn schlugen die Scherben auf der Straße auf. Die Schneedecke nahm ihnen einen Teil ihrer Wucht, doch noch immer stoben Tausende kleine Splitter, die im Licht der Straßenlaternen wie Funken glühten, durcheinander.
Und inmitten des Lärms und des Chaos stand das Licht.
Arienne traute ihren Augen nicht, als sie die Arme senkte. Zwanzig Meter vor ihr stand ein Mann, soweit sie die Gesichtszüge deuten konnte. Und er war umgeben von goldenem Licht. Fast durchsichtige, handbreite Bänder umspielten ihn,
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