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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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ungeschickt bist, oder liegt es daran, dass du Jüdin bist?«
    Das Mädchen sah ihn überrascht an. Es war das erste Mal, dass sie ihn ansah, ohne zu erröten.
    »Herr, bisher glaubte ich stets, es sei meine Ungeschicklichkeit , mein mangelnder Fleiß, die Elisabeths Zorn erregen. Aber jetzt, wo Ihr davon sprecht …« Sie runzelte die Stirn. »Ich glaube schon, dass … Doch, ich bin mir sicher. Sie ist mit mir unzufrieden, weil ich Jüdin bin.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Sie sagt es. Immer wieder.« Esther stand jetzt vor ihm, kerzengerade mit erhobenem Kopf, als hätte sie aus einer geheimen Quelle plötzlich neue Kraft geschöpft. Ihre Augen funkelten . Es waren schöne Augen, wie Anselmo bemerkte. Schöne rehbraune Augen. Vielleicht war es ihm nur nie aufgefallen, weil sie immer auf den Boden sah, wenn sie sich trafen. » Bisher habe ich nicht darauf geachtet, wenn sie mit mir schimpft. Aber jetzt, wo Ihr es gesagt habt, ist es mir bewusst geworden. Sie sagt, ich sei nur faul und ungeschickt, weil ich eine hochmütige Jüdin sei, die nicht für ein christliches Haus arbeiten wolle. Stattdessen würde ich und meine Genossen Ränke gegen ehrbare Christen schmieden, so wie die Moslems auch. Aber mein Hochmut würde schon bald ein Ende haben. Die Juden hätten schließlich den Herrn Jesus Christus umgebracht und müssten dafür bestraft werden. Und dafür würde schon bald Pater Giacomo sorgen.«
    »Pater Giacomo?«, fragte Anselmo vorsichtig. »Wer ist das?«
    Esther zuckte mit den Schultern und senkte erneut den Blick. Jetzt war sie wieder die alte kleine schüchterne Esther.
    »Ich weiß es nicht, Herr. Elisabeth spricht oft von ihm. Er scheint so etwas wie ein Rabbiner zu sein. Ich glaube, dass sie zu ihm geht, um ihn predigen zu hören, wenn sie nachts das Haus verlässt. Eine Frau am Brunnen erzählte mir, dass sie Elisabeth bei einer solchen Versammlung gesehen hätte. Aber das ist schon eine Weile her.«
    »Elisabeth verlässt nachts das Haus?« Anselmo bewahrte nur mit Mühe seine Fassung. Er wusste nicht, was ihn mehr überraschte – das, was Esther erzählte, oder die Tatsache, dass dieses schüchterne Mädchen in der Lage war, mehr als zwei Sätze hintereinander zu sprechen. »Woher weißt du das denn so genau?«
    Eine zarte Röte überzog ihr Gesicht.
    »Ich höre sie, wenn sie geht, Herr. Meist, nachdem alle Lampen im Haus gelöscht und alle zu Bett gegangen sind. Und ich höre sie, wenn sie wieder zurückkommt. Meine Kammer liegt nämlich gleich neben ihrer, Herr. Jede dritte Nacht geht sie fort. Und am nächsten Morgen schimpft sie noch ärger als zuvor.«
    »Kennst du diesen Pater Giacomo? Hast du ihn schon einmal selbst gesehen?«
    Esther schüttelte den Kopf. »Nein, Herr. Aber am Brunnen, wenn ich Wasser hole, unterhalten sich die Mädchen und Frauen über ihn. Einige der Christinnen scheinen regelmäßig seine Predigten zu hören. Sie sind seither wie verwandelt. Früher waren sie immer nett. Jetzt wollen sie nicht einmal mehr mit uns gemeinsam Wasser schöpfen.«
    Anselmo nickte grimmig. Ja, das konnte er sich gut vorstellen . Er kannte Giacomos Meinung über alle, die keine getauften Christen waren. Und wenn Giacomo de Pazzi es darauf anlegte , konnte er sehr überzeugend sein.
    »Nun gut, reden wir nicht mehr davon«, sagte er. »Bring mir jetzt mein Frühstück.«
    »Ja, Herr.«
    Sie wollte gerade gehen, da fiel Anselmo noch etwas ein.
    »Ach Esther, noch etwas.« Sie blieb auf der Türschwelle stehen und sah ihn fragend an. Wie schön sie war. Irgendetwas von dem, was er gesagt hatte, musste ihr ein bisher ungeahntes Selbstvertrauen eingeflößt haben. »Vor einiger Zeit waren Janitscharen hier. Sie haben nach Hinweisen über diesen Pater Giacomo gesucht. Hast du ihnen auch alles erzählt, was du mir eben erzählt hast?«
    Esther sah ihn mit großen Augen an.
    »Nein, Herr. Sie haben mich auch nicht danach gefragt.«
    »Danke, Esther, das ist alles«, sagte Anselmo. »Bring mir jetzt das Frühstück.«
    Esther verschwand, und Anselmo sah ihr kopfschüttelnd nach. Hatte wirklich niemand daran gedacht, mit diesem Mädchen zu sprechen? War sie so unscheinbar, dass sie sogar der Aufmerksamkeit der Janitscharen entgangen war?
    Wenn ich das Cosimo erzähle, dachte Anselmo. Doch er konnte nicht über ihre eigene Dummheit lachen. Zu viel hatte Giacomo bereits erreicht, zu viele Herzen mit seinen Hetzreden vergiftet. Ihm musste das Handwerk gelegt werden, und zwar so schnell wie möglich. Mit

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