Die Wächter von Jerusalem
aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Erschrocken setzte sie sich im Bett auf und sah auf die Uhr. Die Leuchtziffern ihres Radioweckers waren verschwommen, und sie musste sich erst mehrfach die Augen reiben, um sie erkennen zu können . 7:45. Wer um alles in der Welt klingelte um Viertel vor acht an ihrer Tür? Vielleicht der Zeitungsjunge, der ihrer Nachbarin …
In diesem Augenblick fiel ihr alles wieder ein – Cosimo, das Elixier der Ewigkeit, das Gespräch auf dem Golfplatz und Cosimos Versprechen, dass Anselmo sie an diesem Morgen aufsuchen würde.
Sie schwang sich aus dem Bett, zog sich hastig den Morgenmantel über und eilte zur Tür. Sie warf einen Blick durch den Spion. Im Treppenhaus stand Anselmo, wie Cosimo es ihr gesagt hatte. Er sah aus, als wäre er direkt einem Werbeplakat von Dolce und Gabbana entstiegen. Sie öffnete die Tür.
»Guten Morgen, Anne«, sagte er mit einem breiten Grinsen und ging an ihr vorbei in die Wohnung, als hätte sie ihn eingeladen . »Ich habe Sie doch hoffentlich nicht geweckt?«
»Wie kommen Sie auf die Idee?«
Anselmo lachte, und Anne schloss die Tür hinter ihm, bevor die Nachbarin gegenüber ihre Tür öffnen konnte. Natürlich nicht aus Neugierde, sondern nur um nachzusehen, ob die Zeitung bereits auf der Fußmatte lag.
»Es tut mir Leid, dass ich so früh hier bei Ihnen eindringe. Doch ich war in Sorge, dass ich Sie später vielleicht nicht mehr antreffen würde, und das hätte unseren Zeitplan doch empfindlich durcheinander gebracht.«
» Unser Zeitplan?«, erwiderte Anne und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. »Sie meinen Cosimos Zeitplan. Ist es mir denn wenigstens noch erlaubt zu frühstücken, oder lässt der Zeitplan dies nicht zu?«
»Oh, natürlich, bitte …«
Anselmos offensichtliche Scham und Verwirrung belustigte Anne. Sie ging in die Küche und füllte Wasser in den Wasserkocher .
»Wollen Sie mit mir frühstücken?«
Anselmo schüttelte den Kopf. »Danke. Aber eine Tasse Kaffee oder Tee nehme ich gerne an.«
»Setzen Sie sich, ich bin in fünf Minuten fertig.«
Anselmo nahm auf einem der hohen Hocker vor dem Küchentresen Platz.
»Sie sprechen ausgezeichnet Deutsch«, sagte Anne und gab Tee in den Filtereinsatz der Kanne. »Und Cosimo ebenfalls. Wo haben Sie es gelernt?«
»Wir haben von 1920 bis 1930 in Berlin gewohnt.« Anselmo zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Irgendwie muss man sich die Zeit schließlich vertreiben.« Er sah sich anerkennend um. »Sie haben eine sehr schöne Wohnung, Anne. Ich mag es, wenn die Räume groß und offen sind. Und Sie haben eine gute Hand bei der Auswahl ihrer Bilder. Das da drüben ist besonders eindrucksvoll. Wer hat es gemalt?«
Anne schob zwei Croissants in den Minibackofen und warf einen kurzen Blick über die Schulter.
»Zeno. Ein junger Hamburger Künstler, noch ziemlich unbekannt . Ich habe das Bild noch nicht lange.« Sie ging zum Kühlschrank und holte Butter, Frischkäse und Schinken heraus . »Sie verstehen etwas von Kunst?«
Er nahm seine Sonnenbrille ab und legte sie vor sich auf die Tischplatte.
»Verstehen ist zu viel gesagt. Ich weiß nur, ob mir gefällt, was ich sehe. Aber Cosimo versteht sehr viel von Kunst. Gegen ihn sind selbst die Guggenheims Hobbysammler. Er besitzt ein stillgelegtes Weingut im Chianti Classico. Statt Weinfässer werden dort die Gemälde gelagert, die er im Laufe der Jahre gekauft hat. Und da es viele Jahre sind, füllen sie bereits das Kellergewölbe bis zur Decke. Die meisten dieser Bilder sind sehr wertvoll. Und viele von ihnen würden die Kunstszene in Erstaunen und Aufruhr versetzen. Es sind ebenso unbekannte Erstlinge berühmter Maler der Neuzeit darunter wie Bilder alter Meister, die schon lange als verschollen gelten.«
»Und weshalb präsentiert er diese Gemälde nicht der Öffentlichkeit ?«, fragte Anne und stellte zwei Tassen und die Teekanne auf den Tresen. Dann schenkte sie ein. »Er könnte sie doch einem Museum stiften. Oder besser noch selbst eins eröffnen. Stattdessen hortet er sie wie ein alter Drache seinen Schatz und kann doch nichts damit anfangen. Oder wandelt er regelmäßig durch sein Kellergewölbe, um sich an seinem Besitz zu ergötzen?«
Anselmo sah zu, wie die hellgrüne Flüssigkeit in seine Tasse floss.
»Selbstverständlich nicht«, erwiderte er und trank einen Schluck. »Sie sollten Cosimo nicht danach beurteilen, was Ihnen die Medici erzählt haben. Sie alle kannten ihn nicht. Und sie haben ihn nie
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