Die Waechter von Marstrand
den Kopf.
»Het komt wel goed.«
Sie blickte in den Himmel, der durch das Fenster zu sehen war, und dachte an einen Satz, den der Pastor irgendwann einmal gesagt hatte: »Die Wege des Herrn sind unergründlich.«
Seine Worte hatten einen vollkommen neuen Sinn bekommen.
24
»Müsste die Welt nicht aufhören, sich zu drehen, wenn man stirbt?« Karin sah Johan an, der neben ihr auf der Fähre stand und den Blick fest auf Klöverö gerichtet hatte. »Die Sterne sollten erlöschen oder zumindest einmal aufblitzen. Irgendein Zeichen.«
»Meine Welt bräche definitiv zusammen, wenn du sterben würdest.« Johan nahm sie in den Arm. Sie sah schön aus in ihrem beigefarbenen ärmellosen Kleid. Über dem Arm trug sie eine dunkelblaue Strickjacke. Ihre Haut war gebräunt, und Sonne und Salzwasser hatten ihr Haar gebleicht. Das blaugrüne Halstuch passte genau zu den Augen, die ihn normalerweise anstrahlten. Heute nicht. Deshalb hatte er alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt, um die Karten für die Vorstellung am Abend zu besorgen.
»Für eine Weile, aber dann würdest du weiterleben und eine andere Frau finden. Es sterben ja in jeder Sekunde Menschen, ohne dass großartig etwas passiert. Wer erinnert sich nach einigen Jahren noch an sie? Die Frau im Moor war vielleicht die große Liebe von irgendjemandem. Und das Kind war vielleicht das ganze Glück von ihr und ihrem Liebsten. Die beiden müssendoch vermisst worden sein. Fragst du dich nicht, wer sie war?«
»Doch, natürlich.«
Die Fähre legte an, und Lastenmofas und Besucher begaben sich an Land.
»Es muss sich doch herausfinden lassen. Wer hat zwischen 1800 und 1850 auf Klöverö gelebt?«
»Da müssen wir wohl Nachforschungen anstellen. Wie wäre es mit morgen? Komm jetzt.« Während sie über das Kopfsteinpflaster spazierten, legte er den Arm um sie. Ein großes Lastenschiff tuckerte von Norden heran. Jugendliche holten die Segel ein, während der Kapitän das große Schiff geschickt an den Kai manövrierte. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sundes lag die Andante am Schwimmsteg.
»Wo wollen wir denn essen?«, fragte Karin, als sie am Wärdshus vorbeikamen.
»Gute Frage.« Johan ging am Köpmansgård vorbei und bog links ab in die Kungsgata. Die Veranda des Grand Hotel füllte sich allmählich mit Gästen, aber Johan ließ auch das Gebäude hinter sich, passierte die Silberpappel und stieg die steile Straße zur Festung hinauf.
Erstaunt betrachtete Karin die vielen Menschen, die anscheinend dasselbe Ziel wie Johan und sie hatten.
»Wo wollen die alle hin?«
»Warte es ab.«
»Ich habe die Festung übrigens schon mal besichtigt.«
»Umso besser.«
»Kannst du mir nicht einen kleinen Anhaltspunkt geben?«
»Okay: Die Wege von früheren Generationen im Sinn .«
»Das sage ich doch immer.«
»Ich weiß.«
»Ist es eine Sonderführung?« Karin sah ihn neugierig an. »Jetzt sag schon!«
»Na ja. In gewisser Hinsicht liegst du richtig. Es ist eine Führung durch Zeit und Raum.« Zufrieden registrierte Johan Karins verdutztes Gesicht, als sie an Tor 23, dem Haupteingang zu Festung Carlsten vorübergingen.
»Wollen wir nicht hinein?« Karin zeigte auf den Eingang.
»Doch, aber nicht hier. Komm jetzt. Ich gebe dir noch einen Hinweis. Musik.«
Karin lächelte.
»Ah, Lieder von Evert Taube. Du bist so toll!«
»Kannst du nicht einfach mitkommen?« Johan nahm sie an der Hand. Sie gingen weiter zum Tor 14, dem sogenannten Königstor. Ein Mann in zerrissenen Kleidern, der nicht nur an Hand- und Fußgelenken, sondern auch um Hals und Taille Eisenringe und schwere Ketten trug, begrüßte sie. Mühsam gab er Karin die Hand.
»Nummer 90, Kleist, herzlich willkommen.«
»Wie bitte?« Karin wandte sich an Johan. »Wer war das?«, fragte sie.
»Kleist. Er war hier im Gefängnis.«
»Wirklich?«
»Wirklich.«
»Wann denn?«
»Wenn du still bist und gut zuhörst, werden sie es dir sicher erzählen.«
Uniformiert wie ein Soldat Karls XII. stand der wachhabende Offizier vor dem Tor und erteilte den Gästen Anweisungen, bevor sie eintreten durften. Alle taten, was man ihnen gesagt hatte. Karin ging als eine der Ersten über die alte Zugbrücke und tiefer in den Torbogen hinein, der in die Festung führte. Hier und da standen in gehörigem Abstand Häftlinge, die um Geld bettelten und die Besucher beschimpften, die ihnen kleinere Münzen als ein Zehn-Kronen-Stück hinwarfen.
»Was soll der Mist? Eine Krone. Mehr hast du nicht?Komm schon, gib mir
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