Die Waechter von Marstrand
Schwein geschlachtet. Was für ein Leben ist das gewesen? Was für eine Mühsal. Aber auch so viel Liebe. Zu den Tieren, zum Land und den Gebäuden.
Was wusste Jessica davon? Nichts. Der Vater von Vendela und Rickard hatte davon geträumt, hierherzuziehen und traditionelle Landwirtschaft zu betreiben. Zumindest hatte er alle Gebäude erhalten, um theoretisch die Möglichkeit dazu zu haben. Auf anderen Höfen waren in den Bootshäusern und Schuppen Ferienwohnungen und Gästezimmer eingerichtet worden, aber nicht hier. Wenn seine Frau sich hier genauso wohlgefühlt hätte wie er, wäre die Familie tatsächlich auf das Land gezogen, da war sich Astrid sicher. Doch die Ehefrau war vollauf mit ihrer Karriere beschäftigt gewesen und schien nicht selten sogar die beiden Kinder zu vergessen, die sie in die Welt gesetzt hatte.
Astrid kehrte dem Bremsegård den Rücken, hatte jedoch das Gefühl, von den schwarzen Fenstern beobachtet zu werden. Mutter hatte immer gesagt, das Haus sei eine eigenständige Person und führe ein Eigenleben. Die Generationen kamen und gingen, aber das Haus blieb stehen. Alle Erinnerungen daran hatten sich zwischen seinen Wänden angesammelt, alle Kerben in den Bodenbrettern und den hohen Fußleisten hatten eine Geschichte. Zank zwischen Geschwistern oder regelrechte Prügeleien zwischen allzu angeheiterten Verwandten; Familienfeste, die aus dem Ruder gelaufen waren, all das hatte Spuren hinterlassen. Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen. Leben und Tod.
In einem der Fenster ging das Licht an, und Astrid erkannte den Umriss von Jessica in ihrem alten Zimmer. An ihrer Schläfe begann die Arterie zu pochen. Oh,wenn du doch die Treppe hinunterfallen, auf dem Teppich ausrutschen und mit dem Kopf gegen den alten Eisenherd krachen würdest, damit du nie wieder aufwachst. So etwas war schon einmal vorgekommen. Oder du ertrinkst in der Bremsegårdsvik und wirst von der Strömung auf das Meer hinausgetragen. Diese Gedanken machten Astrid keine Angst. Wo sollte sie denn bleiben, wenn der Bremsegård samt Lilla Bärkulle verkauft wurde? Im Sörgård, dem Altenheim auf Marstrandsö? Sie war dort einige Male zu Besuch gewesen. Natürlich war alles hübsch eingerichtet, und Lola kochte hervorragend, aber ein Leben war das nicht. Sie wollte doch hier sein, ihr eigenes Brennholz hacken und ihre eigenen Kartoffeln setzen. Fische fangen und Beeren und Pilze sammeln. So lange wie irgend möglich. Und von einem verwöhnten Gör würde sie sich nicht davon abhalten lassen. Ihr Lebtag nicht.
Alles ist käuflich
Draußen schneite es. Im Laufe der kalten Januarnacht hatte der Wind zugenommen und auf Ost gedreht. Bei westlichem Wind bauten sich auf der Nordsee große Wellen auf und donnerten gegen die Bohusläner Küste, aber bei Ostwind herrschten günstigere Bedingungen. Oskar hatte ablandigen Wind, und der Seegang war nicht so hoch, dachte sie dankbar.
Müde und verfroren fand sich Agnes am nächsten Morgen im Kontor ein. Kaufmann Widell betrachtete sie. Sie war es leid, Agne zu spielen, und sehnte sich danach, wieder Agnes sein zu dürfen. Nur noch kurze Zeit, sagte sie sich. Bis Oskar zurückkam. Sie konnte sich jedochnicht entspannen, durfte nicht unvorsichtig sein. Sie holte tief Luft und senkte die Stimme. Nun war sie wieder Agne, und im Grunde machte die Arbeit Spaß und vollkommen untalentiert war sie schließlich auch nicht.
»Wir sind froh, dass Sie zurück sind.« Kaufmann Widell saß hinter seinem Schreibtisch und nickte mit dem Kopf.
»Danke«, erwiderte Agnes und fügte pflichtschuldig hinzu: »Ich bin froh, wieder hier zu sein.«
»Was ist eigentlich passiert? Möchten Sie darüber sprechen?«
Agnes blickte auf ihre Hände hinunter, die sich krampfhaft an die Armlehnen klammerten. Zögerlich erzählte sie von dem maskierten Mann, der den Laden betreten hatte, nachdem sie die Tranlampen gelöscht hatte, von den Messer und von Oskar Ahlgren, der im allerletzten Augenblick aufgetaucht war. Nur die Frau, die ein paar Münzen vom Kai geklaubt hatte, ließ sie aus.
Kaufmann Widell hörte aufmerksam zu. Sein Blick war wachsam.
»Einige von den Leuten hier auf Marstrand sind Diebe, die Amnestie erhalten haben. Das ist einer der Nachteile, die ein Freihafen auf der Insel mit sich bringt.«
»Wissen Sie, wer es gewesen sein könnte?«, fragte Agnes. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie dem Räuber jederzeit auf dem Kai begegnen konnte. Er würde sie wiedererkennen, aber sie ihn nicht. Außerdem gab es
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