Die Waechter von Marstrand
Rüben und eine kleine Tüte Zucker. Drei Fässer Honig und sechs versiegelte Kisten, die wahrscheinlich Tee enthielten. Einige Fässer Wismarer Bier, fünfzehn Flaschen Wein und neunzehn Flaschen Branntwein. Sie kannte die Flaschen aus dem Laden. Agnes schrieb alles fein säuberlich auf.
Hatte Oskar nicht geargwöhnt, dass bei Familie Widell nicht alles mit rechten Dingen zugehe? Im Magazin sah zwar alles gut aus, aber eigentlich konnte sie sich ja erst dann einen Überblick verschaffen, wenn sie ihre Ergebnisse mit der Liste von Kaufmann Widell verglichen hatte. Falls er das nicht allein machen wollte. Sie rüttelte an der schweren Tür, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich abgeschlossen hatte. Agnes sah auf ihrem Zettel nach, wo sich das nächste Lagerlokal befand. Sie ging bergauf und dann nach Süden.
Das Magazin befand sich im Keller eines Wohnhauses. Das Schloss klemmte, aber nach einiger Zeit ließ es sich öffnen. Ihre Gedanken wollten ständig zu Oskar wandern. Sie fragte sich, wo er sich jetzt befand. Vielleichtwar er schon angekommen. Aber darüber durfte sie jetzt nicht nachdenken, sie musste arbeiten. Bald würde er zurückkommen. Bald. Agnes nahm alles gründlich in Augenschein. Jedes Paket wurde verzeichnet, der Inhalt sorgsam notiert. Ihr kamen wieder die Kaffeebohnen in den Sinn, die sie gefunden hatte. Wo mochten sie hergekommen sein? Mauritz hatte so stark nach Kaffee gerochen. Nachdem sie mit ihren Notizen fertig war, ließ sie die Tinte trocknen und rollte das Papier zusammen. Draußen dämmerte es. Agnes beschloss, zum Kontor zurückzukehren, bevor es dunkel wurde. Dort konnte sie entweder ihre Listen mit denen von Kaufmann Widell vergleichen oder Inventur im Meijerska Keller und dem Magazin auf dem Hof machen. Sie hatte jedoch nicht vor, allein durch die dunklen Gassen zu gehen. Sie löschte die Lampe und wollte gerade die Tür hinter sich zuziehen, als sie das Licht sah, dass durch die hölzerne Decke aus dem Stockwerk über dem Lager drang. Man könnte dort mit Leichtigkeit ein paar Bodendielen lockern und von oben ins Lager eindringen. Agnes verriegelte die Tür und betrachtete das Haus. Wer wohl da wohnen mochte?
Während sie zum Hof von Widells eilte, kreisten ihre Gedanken um Oskar, der nun bei Vater auf Näverkärr angekommen sein musste. Sie fragte sich, wie er empfangen worden war und was ihr Vater gesagt hatte. Ob er ihr noch böse war? Hatte Oskar ihren Brief übergeben? Und Vater – hatte er ihn gelesen? Immerhin hatte Agnes den Pastor angelogen. Vielleicht hatte der Pastor trotzdem ein gewisses Verständnis für sie, er war ein freundlicher Mann, der sich nach dem Tod ihrer Mutter und Großmutter mehr als einmal Zeit für ein Gespräch mit der traurigen Agnes genommen hatte.
Während sie die Insel überquerte, wurden die Schatten immer länger. Vor jeder dunklen Stelle, an der jemandlauern konnte, beschleunigte sie ihren Schritt. Das letzte Stück rannte sie. Sie schwor sich, von nun an früher nach Hause zu gehen.
Als Agnes vollkommen außer Atem ins Kontor stürmte, war Kaufmann Widell noch da. Beinahe stieß sie mit ihm zusammen.
»Entschuldigen Sie bitte.« Agnes schloss die Tür.
»Stimmt etwas nicht, Agne? Sie sind ja gerannt, als ob der Teufel hinter Ihnen her wäre.«
Zu atemlos, um etwas zu sagen, schüttelte Agnes nur den Kopf. Sie war zwar erleichtert, dass sie sich nun in Sicherheit befand, aber mit der Erleichterung kamen die Tränen. Sie versuchte, sie wieder hinunterzuschlucken, hustete, um Zeit zu gewinnen, und räusperte sich anschließend. Nach dem Aufenthalt bei Oskar auf Klöverö kam ihr die tiefe Stimmlage nicht mehr so selbstverständlich über die Lippen. Sie musste sich gut überlegen, was sie sagte. Allein bei dem Gedanken, sich zu verraten, bekam sie Bauchschmerzen.
»Haben Sie einen Moment Zeit für mich, Herr Widell?« Ihre Stimme klang so dunkel und tief, wie es nur ging. Außerdem bemühte sie sich, langsam und deutlich zu sprechen.
»Treten Sie ein.« Er deutete auf sein Arbeitszimmer und ließ ihr den Vortritt. Als er sich setzte, knarrte der dunkelbraune Stuhl unter seinem Gewicht. Er nahm einige Unterlagen aus seiner Schreibtischschublade.
Agnes zog ihre Notizen aus der Tasche und berichtete von den beiden Magazinen, die sie aufgesucht hatte.
»Nun gut.« Der Mann studierte ihre Zahlen. Er hatte den Zettel auf seine Seite des Schreibtisches gelegt, sodass sie ihn nicht sehen konnte. Agnes wusste nicht, ob sie sich nach vorne
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