Die Waechter von Marstrand
sich in der Hoffnung auf Rettung durch die dunklen Gassen schleppten.
Wenn es ein Junge gewesen wäre, hätte Agnes den Vorschlag machen können, ihn als Laufburschen einzustellen, aber für ein Mädchen war diese Arbeit zu gefährlich. Vielleicht hatte es einen Bruder? Sie wandte sich um, aber das Mädchen war bereits verschwunden.
Der Schnaps, den sie mit dem Kaufmann getrunken hatte, benebelte ihren Geist und milderte sowohl die Kälte als auch ihre ständige Unruhe. Erst jetzt merkte Agnes, dass sie sich gar nicht auf dem Weg zum Wärdshus befanden, sondern in die entgegengesetzte Richtung gingen.
Mauritz öffnete die Tür zu einem Lokal, aus dem Musikund lautes Stimmengewirr drangen. Eine Frau nickte Mauritz vertraut zu, kam ihnen entgegen und hakte sich bei ihm ein.
»Wie nett. Das Übliche?«, fragte sie. Ihre Stimme klang sanft und angenehm. Mauritz nickte. Sie führte sie zu einem Tisch in der Ecke, der durch eine halbhohe Wand abgeschirmt war. Agnes folgte den beiden, ohne zu verstehen, worüber sie redeten. Allerdings nahm sie wahr, dass die Frau nach Rosen duftete. Ihr Schweißgeruch wurde davon fast vollständig überlagert.
»Was gibt es denn?«, fragte Agnes.
»Eine ganze Menge, wage ich zu behaupten.« Die Frau lachte. »Wie wäre es mit einem saftigen Stück Fleisch?«
Mauritz lächelte.
»Dasselbe wie immer. Für uns beide.«
»Aber für jeden eine, oder?«, fragte die Frau.
»Natürlich. Die Wahl überlasse ich dir.« Wieder verzog Mauritz das Gesicht zu einem schiefen Grinsen.
Es waren generell viele Frauen im Lokal, dachte Agnes. Schöne Frauen in teuren Kleidern. Alle mit tiefem Ausschnitt. Sie fühlte sich zunehmend unwohl, aber die Wärme im Raum verstärkte ihren Rausch. Wie viel hatte sie eigentlich getrunken? Zwei hölzerne Bierkrüge wurden vor sie auf den Tisch gestellt. Kurz darauf standen zwei dampfend heiße Schüsseln vor ihnen.
»Spanische Fleischsuppe«, sagte die Frau, als sie Agnes’ fragenden Blick sah.
Die Suppe war heiß und schmeckte anders als alles, was Agnes bisher gegessen hatte. Die Portion war reichlich, und Agnes’ Gedanken wanderten zu dem Mädchen mit der bettlägerigen Mutter und den vielen Geschwistern. Es hätte die Suppe viel nötiger gehabt als sie.
»Branntwein«, rief Mauritz dem Mädchen hinter der Theke zu. »Eine Flasche.« Das Mädchen kam sofort angerannt und entschuldigte sich, dass es die Flasche nichtgleichzeitig mit dem Essen und dem Bier auf den Tisch gestellt hatte. Mauritz klopfte ihr fest auf den Hintern und lachte, als sie ihren Rock an sich raffte.
»An diesem Ort die Schüchterne zu mimen, ist zwecklos.« Er schenkte beiden Schnaps ein, leerte seinen Zinnbecher in einem Zug und sah Agnes nachdenklich an. Sie streckte sich und biss von ihrem Brot ab, das sie in die Suppe gestippt hatte.
»Was bevorzugst du?« Mauritz zeigte mit dem Holzlöffel auf die Frauen im Lokal.
»In welchem Zusammenhang?«, fragte Agnes zurück.
»Du bist lustig. In welchem Zusammenhang?«, wiederholte Mauritz. »Du darfst zuerst auswählen, aber ich kann dir gewisse Empfehlungen geben.« Er goss sich noch mehr Schnaps in seinen Zinnbecher und leerte ihn erneut.
»Du trinkst ja gar nichts. Prost.«
Agnes nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. Mauritz betrachtete sie mit einem so rätselhaften Gesichtsausdruck, dass sie wohl oder übel ihren Becher leerte. Der Schnaps brannte im Hals, und ihre Augen begannen zu tränen.
»Vielleicht ist er etwas zu stark für dich?« Wieder füllte er ihren und seinen eigenen Becher, prostete ihr zu und verfolgte aufmerksam, ob Agnes austrank. Diesmal brannte es etwas weniger im Hals. Mauritz schenkte noch einmal nach und winkte das Mädchen von der Theke heran.
Sobald sie in Reichweite war, zog Mauritz sie auf seinen Schoß. Grob hielt er sie fest und drückte seine Lippen auf ihre.
»Marie«, rief das Mädchen und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien.
Sofort kam Marie, die offenbar für die Bedienung zuständig war, angeeilt.
»Vielleicht möchten Sie ins Obergeschoss gehen, Herr Widell? Dort würden wir Sie gern zu etwas einladen.«
Das Mädchen hatte sich befreit. Es stand nun hinter Marie und strich ihr Kleid glatt. Agnes konnte sehen, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen.
Agnes wusste nicht, was sie tun sollte. Am liebsten wäre sie nach Hause gegangen. Sie wollte etwas sagen, aber das Formulieren fiel ihr schwer. Stattdessen nickte sie, stand langsam auf und begleitete Mauritz zur
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