Die Waechter von Marstrand
Der Hof war ihr Leben gewesen, ihre Seele war hier zu Hause. Großmutter und Großvater hatten das wahrscheinlich gesehen und sich deswegen so gefreut, sie als Schwiegertochter zu bekommen. Sie würde ihr Erbe würdig verwalten, denn sie bezweifelten, dass mein Vater dazu in der Lage war. Wie sich herausstellte, hatten sie recht gehabt.«
»Wenn du mit den Kisten dort drüben beginnst, fange ich hier an.« Vendela kämpfte sich zu einem Stapel Holzkisten durch. Massenhaft alte Tageszeitungen und Papier voller Obstflecke. Vendela nahm die oberste Zeitung aus dem Jahr 1953 in die Hand, damals war der Hof noch im Besitz von Astrids Familie gewesen. Das erste Dokument dagegen stammte von 1806. Hier schien nicht die geringste Ordnung zu herrschen.
»Ui, sieh mal hier.« Vorsichtig hielt Vendela ein vergilbtes Blatt Papier in den Händen, entzifferte mühsam,was darauf stand, und las vor: »Infolge der vom König respektive dem Befehlshaber verordneten rechtsgültigen Gesetze nahm sich am zwölften Oktober des Jahres 1806 der unterzeichnete Landvermesser der an das Amtsgericht Bärkulle, gelegen vor Göteborg im südlichen Inlandskreis von Bohuslän im Kirchspiel Lycke, gerichteten Fragen an, worauf …«
Vendela schnappte nach Luft. »Meine Güte, formulieren die umständlich. Ich habe noch nicht einmal kapiert, worum es geht. Dafür brauche ich eine Weile, Astrid.«
»Hast du Landvermesser gesagt? Das klingt interessant. Lies weiter.«
Vendela starrte das Dokument an.
»Kannst du entziffern, was hier steht? Du kannst die alte Handschrift bestimmt besser lesen als ich.«
Astrid schüttelte den Kopf. Sie kniff die Augen zusammen, als ob ihr das helfen würde, die verschnörkelten Buchstaben zu deuten.
»Schlimme alte Augen«, murmelte sie und ließ ihren Blick über das Blatt wandern. »Den Text in der Mitte kann ich nicht lesen, aber hier unten geht es leichter. Es geht um Grenzen zwischen verschiedenen Grundstücken auf der Insel. Teilweise sind sie mit einem Zaun markiert, aber teilweise fehlt dieser. Wenn ich das richtig verstehe, möchte man ausgehend von einer alten Karte seinen Besitz mit Grenzsteinen markieren. Am 31. Oktober war die Messung offenbar beendet.«
»Steht da nichts über die Eigentümer?«, fragte Vendela.
»Doch, jede Menge Namen. Ich weiß aber, dass das lang vor der Zeit war, in der man die Ackerstreifen miteinander tauschte, um größere Anbauflächen zu gewinnen. Wir müssen neuere Dokumente finden, wenn wir etwas über das Stück Land erfahren wollen, von dem du gesprochen hast.« Astrid griff zum nächsten Blatt.
»Hier haben wir einen Vertrag. Wenn ich das richtigverstehe, geht es um ein Stück Land mitten auf dem großen Acker.« Astrid zog die Stirn kraus.
»Aha. Hiermit können wir vielleicht doch etwas anfangen.« Vendela, die sich wieder ihrer Holzkiste widmete, bemühte sich, optimistisch auszusehen. Nicht, weil sie sich wirklich vorstellen konnte, wie sie den Verkauf des Hofs verhindern sollte, schließlich war das Stück Ackerland, das Astrid möglicherweise besaß, ziemlich unbedeutend. Aber unter den jetzigen Umständen mussten sie sich einfach Klarheit verschaffen. Am Ende saß sie mit einem Stapel Dokumenten und einem ganzen Stoß Zeitungen da. Kiste Nummer zwei war voll mit ganz alten Fischereigeräten, die nächste enthielt Bücher, Notizbücher, alte Schulbücher und ältere Romane. Sie stellte die Kiste beiseite und versuchte es mit mehreren anderen, deren Inhalt sich kaum von dem der anderen unterschied. Schließlich hatte sie einen halben Meter Dokumente und drei dicke Stöße Zeitungen angesammelt.
»Alte Briefe!« Astrid hielt ein Päckchen Briefe in die Höhe, das mit Seidenpapier umwickelt war.
»An wen sind die?«, fragte Vendela.
»An Großmutter, glaube ich. Erstaunlich, dass sie noch da sind.« Sie sah Vendela an.
Astrid war auf ihre eigene Art schön. Die großen kräftigen Hände zeugten von harter Arbeit, im Winter beim Fischen im eisigen Meerwasser, im Sommer in der warmen Erde oder bei den Tieren im Stall. Sie strahlte Genügsamkeit und Einklang mit der Natur aus. Hätte man sie jedoch gezwungen, ihre Insel zu verlassen, wäre es für Astrid Edman das Ende gewesen.
»Sollen wir alles mit ins Haus nehmen und in Ruhe durchlesen?«
Vendela hatte schwarze Fingerkuppen und wurde langsam hungrig. Sie hockten schon seit zwei Stunden auf dem Dachboden.
Astrid schien sie gar nicht zu hören. Sie hatte einen der zarten Briefbögen
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