Die Waechter von Marstrand
auseinandergefaltet.
»Astrid?«
»Entschuldige. Hast du etwas gesagt?« Sorgfältig faltete sie den Brief wieder zusammen und steckte ihn zurück in den Umschlag.
»Wo hast du die Briefe eigentlich gefunden?«
»In der obersten Schublade der Kommode da drüben.«
»Hast du auch in die anderen Schubladen geguckt? Sollen wir alles durchgehen, bevor wir uns an das Sortieren machen? Oder essen wir vielleicht zuerst eine Kleinigkeit?«
»Aber meine Liebe, hast du etwa Hunger? Dann gehen wir hinüber und sehen mal, was es gibt. Oder möchtest du hier weiterarbeiten, während ich uns etwas zu essen mache?«
»Wenn du dich um das Essen kümmerst, kann ich doch den ganzen Kram hinüberbringen. Wo wollen wir uns denn damit hinsetzen?«
»Was hältst du vom Wohnzimmer? Ich werde versuchen, dort ein wenig Ordnung zu schaffen.«
Astrid verschwand nach unten.
»Geh vorsichtig!«, rief Vendela und zog eine Schublade heraus, die sich als leer herausstellte. Sie sah sich um. Allmählich mussten sie doch fast alles gesehen haben.
Während Vendela die Schubfächer und Schränke öffnete, hatte sie das Gefühl, im Zuhause einer anderen Person zu wühlen. Dabei gehörte Astrids Häuschen eigentlich nicht ihr selbst, sondern Vendela und Rickard. Vielleicht würde es ihnen wenigstens gelingen, Astrids Hütte günstig zu erwerben, falls nicht irgendein Investor auf einem netten Gästehaus bestand. Die Gedanken an den drohenden Verkauf lauerten wie ein nahendes Gewitter die ganze Zeit in ihrem Hinterkopf.
Mit dem Dokumentenstapel auf dem Arm stieg sierückwärts die steile Bodentreppe hinunter. Unten angekommen, wickelte sie die Papiere in ihren alten Regenmantel, damit er auf dem Weg über den Hof nicht nass wurde. Astrid hatte die Tür offen stehen lassen. Im Hausflur schleuderte Vendela die Schuhe von den Füßen und ging über den Flickenteppich ins Wohnzimmer.
»Wo sollen wir denn das ganze Zeug hinlegen?«, rief Vendela.
Die alte Frau kam aus der Küche angelaufen.
»Da drüben, dachte ich.« Sie zeigte auf den Wohnzimmertisch und eilte zurück an den Herd.
Vendela wickelte den Regenmantel auseinander und legte den Papierstapel auf den Tisch. Sie studierte das oberste Blatt. Wenn man bedachte, wie lange es dort oben auf dem Dachboden gelegen hatte, war es erstaunlich gut erhalten.
Astrid stand im Gemüsegarten und pflückte Salat. Anschließend ging sie zwei Schritte zur Seite, zog Mohrrüben aus der Erde und klopfte sie über dem Rasen ab. Vendela ging über den Hof, um den nächsten Stapel zu holen. Viermal ging sie hin und her, bevor sie alles ins Wohnzimmer geschafft hatte. Anschließend leistete sie Astrid in der Küche Gesellschaft.
Astrids Haushaltsführung beeindruckte Vendela immer wieder. Sie nutzte alles, was die Natur zu bieten hatte, und ging nur alle drei Monate einmal einkaufen. Wenn Vendela ihren Kollegen im Sahlgrenska Krankenhaus beschrieb, wie Astrid sich ernährte, empfanden die Kollegen diese Lebensweise als kümmerlich. Doch da lagen sie völlig falsch. Die Hütte war zwar bescheiden, aber das Essen war erstklassig. Die Kartoffeln waren nie verkocht, und außerdem konnte niemand so gut Fisch zubereiten wie Astrid. Zu wissen, dass das Gemüse auf Klöverö gewachsen war und sich der Fisch hier vor dieserKüste im Wasser getummelt hatte, trug wahrscheinlich einiges dazu bei.
»Wenn ich gewusst hätte, dass Großmutters Briefe und eine Menge anderer Papiere und Bücher hier nebenan lagen …« Astrid goss das Kartoffelwasser in einen Blecheimer.
Alles wird genutzt, dachte Vendela. Nichts wird verschwendet. Das Leben hier auf der Insel kam ihr so gesund vor. Die meisten Dinge hatten sich im Laufe der letzten hundert Jahre wahrscheinlich kaum verändert. Natürlich musste die Elektrizität den Alltag der Menschen vereinfacht haben. Sie wurde 1947 eingeführt, aber im Winter kam es ständig zu Stromausfällen, und in den meisten Haushalten gab es noch alte Eisenherde, die mit Brennholz beheizt wurden, und Kühlschränke, die man auch mit Gas betreiben konnte.
Vendela deckte den Tisch in der Küche. Sie mochte diese Küche, obwohl sie so klein war. In dem gemütlichen Raum waren die Wände grün gestrichen, und es duftete immer nach grüner Seife. Hinter einem bestickten Ziertuch verbargen sich die Hand- und Geschirrtücher. Auf dem Bord darüber standen Mehl, Graupen, Zucker und Salz in alten Porzellandosen mit verschnörkelter Aufschrift. Die Spüle war niedrig, aber es gab je einen Hahn für
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