Die Wälder von Albion
Lippen.
Gaius blickte von Eilan zu der älteren Priesterin und überlegte, was um alles in der Welt er sagen sollte. Er hatte nicht im geringsten damit gerechnet, daß bei diesem Treffen eine andere Frau anwesend sein würde. Davon war nicht die Rede gewesen. Er hatte nicht den Zorn seines Vaters riskiert und Eilans mögliche Zurückweisung, um in Gegenwart eines leibhaftigen Drachens ein paar belanglose Worte mit seiner Geliebten zu wechseln.
Als er Cailleans leicht belustigten Blick sah, legte sich sein Zorn. Wie hatte er nur so dumm sein können! Wenn Eilan so etwas wie eine Vestalin war, konnte er doch kaum erwarten, sie ohne Aufsicht sehen zu können. Soviel er wußte, würde Eilan auch wie eine Vestalin schwer bestraft werden, wenn ihre Unschuld in Zweifel gezogen werden konnte. Nein, er durfte Eilan nicht vorwerfen, daß sie bei dieser Begegnung eine Zeugin haben wollte, die beschwören würde, daß ihre Reinheit unangetastet war.
Aber ich habe nicht vor, ihr die Unschuld zu rauben!
Wie sollte er ihr nur begreiflich machen, daß sie von ihm nichts zu befürchten hatte? Sie war für ihn so unantastbar und heilig wie eine Jungfrau im Tempel der Vesta. Gaius wußte noch allzu gut, wie überwältigt er von ihrem Vertrauen gewesen war, als sie neben ihm vor den Beltane-Feuern saß. Wie sehr hatte ihn ihre Unschuld in jener Nacht gerührt.
Die ältere Priesterin sah die Dinge natürlich mit anderen Augen. Er wußte sofort, daß sie ihm nicht traute - um genauer zu sein, sie traute ihnen beiden nicht. Das empörte ihn, wenn er an Eilan dachte. Aber diese Frau kannte vermutlich nichts anderes als die Schauergeschichten über römische Brutalität. Für eine Priesterin von Vernemeton genügte es, daß er Römer und ein Mann war, um ihm alles erdenklich Schlechte zuzutrauen.
Ganz so abwegig war das Mißtrauen nicht, denn ohne die Priesterin hätte er Eilan vermutlich geküßt. Sie sah einfach bezaubernd aus in dem weißen, weiten Leinengewand und dem grünen Gürtel. Die blonden Haare schimmerten in der Sonne wie reines Gold. Offenbar trugen alle Priesterinnen diese Art Gewand, denn auch Caillean war so gekleidet. Aber der ungefärbte Stoff ließ sie bleich und alt erscheinen. Beide Frauen trugen kleine gebogene Messer am Gürtel.
Nach kurzem Schweigen erzählte ihm Eilan von dem Mädchen, das die Priesterinnen in ihre Obhut genommen hatten - ihre Worte klangen atemlos, ziemlich zusammenhangslos und unverständlich, aber er wußte sofort, daß es sich um das Kind der Schwester des Valerius handelte.
»Wie erstaunlich!« rief er. »Ich glaube, es ist das Mädchen, über das ich mit dir sprechen wollte. Sie ist die Nichte des Sekretärs meines Vaters. Wie alt ist sie?«
»Das muß eine Fügung der Göttin sein«, erwiderte Eilan. »Ich glaube, sie ist noch nicht zehn.«
»Gut, dann ist sie noch nicht im heiratsfähigen Alter«, sagte er. Nach römischem Gesetz durfte ein Mädchen unter zwölf nicht heiraten.
»Das macht alles einfacher, sonst hätte sich Valerius vermutlich verpflichtet gefühlt, sie unter die Haube zu bringen.« Er lachte. »Jetzt muß der alte Junggeselle vielleicht endlich selbst heiraten, um dem Kind ein Zuhause zu bieten.«
»Das ist nicht notwendig«, sagte Eilan. »Die kleine Valeria ist bei uns glücklich und zufrieden. Das kannst du ihm sagen.«
Gaius runzelte die Stirn. Er wußte, daß Valerius, der aus einer guten alten Familie kam, es als eine selbstverständliche Pflicht betrachtete, dem Kind ein Zuhause zu geben. Aber Valerius hatte keine eigene Familie und wollte auch nicht heiraten. Vielleicht würde er sich damit einverstanden erklären, wenn er erfuhr, daß Eilan und die Priesterinnen von Vernemeton das Kind in ihre Obhut genommen hatten.
In Rom galt es als die höchste Ehre für eine Familie, wenn ein Mädchen in den Tempel der Vesta aufgenommen wurde. Als Vestalin behandelte man sie wie eine Königin. Aber wie auch immer, sie befanden sich in Britannien, und er würde Valerius klarmachen, daß das Kind in besten Händen war.
Gaius wurde plötzlich bewußt, daß er noch immer belanglose Dinge über das Mädchen sagte. Er hatte das Kind nicht einmal gesehen. Er spürte den ungeduldigen Blick der älteren Priesterin auf sich ruhen. Sie hatten alles gesagt, was es über diesen Fall zu sagen gab, und begannen sich zu wiederholen. Es war Zeit, das Gespräch zu beenden und sich zu verabschieden.
Er schwieg und sah Eilan traurig an. Vermutlich würde er nie wieder Gelegenheit
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