Die Wälder von Albion
von diesen Händen soviel Kraft ausgehen?
Ardanos rief mit weithin hallender Stimme.
» Göttin, Hüterin des Kessels!
DU silbernes Rad der Unendlichkeit!
O große Königin der Nacht!
Komm zu uns, Allmächtige Göttin!
Verkünde uns DEINEN Willen! «
Caillean glaubte zu hören, wie die hohe Lehne plötzlich ächzte. Eilan streckte die Finger aus, und mit Staunen sah Caillean, wie die blassen Hände plötzlich zu leuchten anfingen.
Die Göttin ist da. SIE ist wirklich gekommen!
Die Gestalt auf dem Sitz des Orakels richtete sich langsam auf, reckte sich höher, als versuche die zarte Frau, die dort saß, der geistigen Wesenheit gerecht zu werden, die sie erfaßt hatte. Caillean lief ein kalter Schauer über den Rücken, als Ardanos rief.
» Seht, ihr Menschen, die Herrin des Lebens ist da!
Wir bitten das Orakel zu uns zu sprechen!
Die Göttin soll uns Sterblichen
den Willen der Unsterblichen verkünden! «
Jetzt begann auch Ardanos zu zittern und stützte sich nach der Anrufung erschrocken auf seinen Stab. In diesem Augenblick trat Bendeigid aus dem Kreis der Druiden und richtete als erster das Wort an das Orakel.
»Göttin! Befrei uns von denen, die uns versklaven!«
Er hob beschwörend die Hände und rief mit lauter Stimme: »Göttin, schenke uns den Sieg. Führe uns in den gerechten Kampf!«
Ardanos glaubte, einen der Raben zu hören, die in ihrer Verblendung immer aufs neue blutige Rache und Tod forderten. Ahnten sie, was mit diesem Land geschehen würde, wenn es zum offenen Kampf kam, wenn ein Aufstand Rom und seinen Legionären noch einmal die Rechtfertigung lieferte, die Menschen wie Vieh abzuschlachten? Wie konnte ein vernünftiger Mann oder eine kluge Frau, wie konnte eine wohlmeinende Göttin einen Krieg entfesseln? Hatte Bendeigid vergessen, was es hieß, Frau und Kinder zu verlieren? Hatte er vergessen, wie schnell sein Haus abgebrannt war? Ein Krieg in diesem Augenblick war reiner Wahnsinn.
Göttin, DU hast den Frieden in Eilans Hände gelegt. Laß Eilan jetzt standhaft sein und DEINEN Willen den Menschen verkünden, auch wenn es so aussehen mag, als diene sie damit den Römern…
Die Hohepriesterin erhob sich von ihrem Sitz und schob den Schleier zurück. Ihr Gesicht war so kalt und gelassen wie die Gesichter der römischen Statuen. Und als SIE sprach, klang IHRE Stimme leise und ruhig. Die Menge hielt den Atem an, um die Worte zu hören.
»Heute ist noch nicht die kürzeste Nacht.
Nutzt die Zeit, die euch bleibt,
denn bald werden die Kräfte des Lichts schwächer.
Ihr lernt in eurem Stolz die Geheimnisse
von Erde und Himmel und seid doch verblendet!«
SIE deutete verächtlich auf den Kreis der Druiden.
»Könnt ihr die Zeichen der Welt nicht
deuten, in der ihr lebt?
Die große Zeit der Stämme ist vorüber,
und sie werden schwächer und schwächer.
So wird es den Römern und ihrem Reich
eines Tages auch ergehen.
Alles erreicht einen Höhepunkt
und muß dann wieder versinken.«
»Bleibt uns keine Hoffnung?« rief Bendeigid. »Auch die Sonne wird nach einem langen Winter wiedergeboren!«
»Das stimmt! Aber zuerst muß der dunkelste
Tag vorüber sein.
Legt eure Schwerter beiseite!
Hängt eure Schilde an die Wand,
Kinder des Don!
Die römischen Adler mögen sich gegenseitig
zerfleischen, während ihr eure Felder pflügt.
Habt Geduld, die Zeit wird alle Übeltaten
auf ihre Weise rächen!«
Ein Murmeln der Erleichterung, aber auch der Enttäuschung lief durch die Menge. Ardanos sprach flüsternd mit einem Druiden.
Caillean erkannte, daß sich jetzt vermutlich die einzige Möglichkeit bot, dem Orakel ihre Frage zu stellen, und rief: »Was aber soll aus dem alten Wissen werden? Wie sollen wir in der sich verändernden Welt die Lehre und die Verehrung des Göttlichen bewahren, das DU uns geschenkt hast?«
Ardanos und Bendeigid starrten sie wütend an, aber die Frage war gestellt, und die Göttin wandte sich ihr bereits zu. Caillean zitterte, denn in diesem Augenblick stand nicht Eilan vor ihr.
»Du, Tochter der alten Rasse, du stellst MIR
diese Frage?«
Die Göttin schwieg und schien den Blick nach innen zu wenden. Dann lachte SIE leise.
»Ah, auch sie wartet auf meine Antwort.
Du dummes Kind, du könntest noch viel mehr
von MIR erfahren, aber du hast Angst.
Du dummes, dummes Kind.
Warum kannst du nicht verstehen,
ICH will, daß ihr alle in Freiheit lebt.
Aber ihr seid alle Kinder, und ICH will euch
eure Träume nicht nehmen.
Ihr seid nicht stark
Weitere Kostenlose Bücher