Die Wälder von Albion
breitete die Arme aus. Ihre Begleiterinnen traten schnell zur Seite, und im selben Augenblick loderten die beiden Feuer hoch auf. Hatte jemand etwas in die Glut geworfen? Gaius konnte nichts sehen, er konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen, denn jetzt begannen alle wie entfesselt zu rufen und zu singen.
Noch einmal erhob sich die Stimme der Göttin über den Lärm.
» Tanzt!
Werdet eins mit MIR
in der Ekstase des Lebens! «
Das Licht ihrer Gestalt schien in den Himmel zu steigen. Sie hatte die Arme ausgebreitet, als umarme sie die ganze Welt. Plötzlich sank sie in sich zusammen, und die große Priesterin fing sie auf.
Was dann geschah, konnte Gaius nicht mehr sehen, denn ein großer Mann stieß gegen ihn. Er faßte Eilans Hand noch fester und spürte, wie jemand seine andere Hand packte. Trommeln dröhnten. Druiden und Priesterinnen nahmen teil an dem Tanz, der alle mit sich riß. Es gab nichts mehr auf der Welt als den dumpfen Klang der Trommeln.
Gaius wußte nicht, wieviel Zeit verging. Er stellte nur fest, daß sie immer weiter an den Rand der ekstatischen Menschenmasse gerieten. Plötzlich entdeckte er Cynric und Dieda. Und er glaubte, noch immer Tränen in Diedas Augen zu sehen.
Erst im Morgengrauen legte sich die Ekstase. Cynric und Dieda kamen niedergeschlagen zu ihnen. Im grauen Morgenlicht hatte sich bei ihnen allen die Verzweiflung wieder eingestellt. Schweigend kehrten die vier in Bendeigids Haus zurück.
Am selben Tag verabschiedete sich Gaius, ohne noch einmal allein mit Eilan gesprochen zu haben.
6. Kapitel
Macellius Severus Tarentus, prefectus castrorum der Zweiten Augusta Legion in Deva, war ein Mann, der gerade in die mittleren Jahre kam. Er war eine große und eindrucksvolle Gestalt und konnte selbst heftigen Zorn hinter dem Anschein von Ruhe verbergen. Seine Sanftmut war irreführend. Trotz seiner Größe wurde er nie laut oder schrie. Im Gegenteil, er war ausgesprochen freundlich und kultiviert, beinahe wie ein Gelehrter. So konnte es vorkommen, daß jemand, der den Präfekten nicht kannte, ihn für schwach hielt.
Die scheinbare Ruhe wirkte sich in seiner derzeitigen Position als Präfekt von Deva günstig aus. Neben seinen administrativen Aufgaben im Lager fungierte er als eine Art Bindeglied zwischen den Legionären und der Bevölkerung. Er unterstand nicht dem Befehlshaber der Legion, sondern nur dem Statthalter der Provinz und dem neu eingesetzten Legatus Juridicus. Da der Statthalter an der Front in Alba war und der Juridicus in Londinium saß, bedeutete das in der Praxis, daß in diesem fernen Vorposten des römischen Reichs sein Wort im zivilen Bereich Gesetzeskraft besaß.
Glücklicherweise verstand er sich mit dem Befehlshaber der Legion sehr gut. Er hatte vor langer Zeit in mehreren Feldzügen unter ihm gedient. Der Legat unterstützte Macellius sogar in seinen Bemühungen, die finanziellen Voraussetzungen zu schaffen, um in den Ritterstand erhoben zu werden.
Es gehörte zu seinen Pflichten, den Nachschub und die Versorgung für die gesamte Legion sicherzustellen. Er war Quartiermeister und Verbindungsoffizier für die britonische und römische Bevölkerung und das Militär. Theoretisch vertrat er demnach auch die Interessen der Zivilbevölkerung. Bei der Einziehung der Abgaben für die Legion hatte er zum Beispiel darauf zu achten, daß den Menschen, die sie leisten mußten, genügend Nahrungsmittel und Arbeitskräfte blieben, damit sie nicht in eine offene Rebellion getrieben wurden. Daher lag in Friedenszeiten die tatsächliche Verwaltung des Gebiets der Cornovier in der Umgebung von Deva mehr bei ihm als bei dem Befehlshaber der Legion.
Sein karg ausgestattetes Amtszimmer war nicht größer, als unbedingt erforderlich. Aber im Laufe eines Tages erschienen dort so viele Zivilisten und Militärs mit einer endlosen Fülle von Klagen, Forderungen und Bittgesuchen, daß man manchmal den Eindruck haben konnte, der keineswegs kleine Macellius werde praktisch in eine Ecke gedrängt.
Macellius Severus hatte die morgendlichen Pflichten beinahe alle erfüllt. Er saß auf einer Art Klappstuhl und blickte auf eine Pergamentrolle, während er so tat, als höre er mit großer Geduld einem dicken, verweichlichten Stadtbewohner zu. Der reiche Mann trug die Toga eines römischen Bürgers und hatte bereits zwölf Minuten ununterbrochen auf ihn eingeredet. Macellius hätte ihn jederzeit unterbrechen können, aber er hielt es für klüger, den Redeschwall über sich ergehen zu
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