Die Wälder von Albion
schlug den Schleier zurück.
Gaius hatte gehört, die Hohepriesterin von Vernemeton sei alt, aber die Frau dort oben war von einer strahlenden Schönheit. Ihre Bewegungen waren von einer Kraft und Energie, die nichts von ihrem Alter verrieten. Seine römische Skepsis schwand, und er spürte das Blut seiner Mutter in sich.
Es ist wahr… alle Geschichten sind wirklich wahr… die Göttin erscheint auf diesem Fest den Menschen…
Mit einer weichen und volltönenden Stimme, die direkt in sein Ohr zu sprechen schien, rief SIE:
» ICH bin die grüne Erde, die euch wiegt,
und ICH bin der Leib des Wassers
ICH bin der silberne Mond
und das Meer der Sterne.
ICH bin die Nacht, aus der das erste Licht
geboren wurde.
ICH bin die Mutter der Götter
und ICH bin die Jungfrau
ICH bin die dunkle Schlange, die alles
verschlingt.
ICH bin das Nichts, aus dem alles kommt,
und ICH bin das fruchtbare Tal, das euch das
Leben gibt. «
Ihre Worte waren ein Gesang, der die Menschen verzauberte und sie in ihren Bann schlug. Alles Schwere, alle Schmerzen, alle Sorgen fielen von Gaius ab. Er fühlte sich so leicht wie ein Vogel und so stark wie ein Bär.
» Könnt ihr MICH sehen?
Sehnt ihr euch nach MIR?
Erkennt ihr MICH als eure Herrin an? «
»Wir sehen DICH… «, antwortete murmelnd die Menge, »wir sehen und wir verehren DICH… «
» Dann freut euch und seid glücklich,
damit das Leben sich erneuere.
Ihr sollt singen, tanzen, feiern
und euch lieben.
ICH schenke euch MEINEN Segen. «
Die Menschen auf dem dunklen Platz hoben bittend die Hände. Die Worte der Göttin schienen das ganze Land zu umfassen, die Flüsse, die Seen, die Wälder und hinauf bis in den Himmel zu tönen.
» Die Kühe werden kalben,
und das Getreide wird wachsen.
Die Frauen werden Kinder gebären,
und allen wird das Licht zuteil. «
»Herrin!« hörte man plötzlich die Stimme einer Frau in der Dunkelheit, »sie haben meinen Mann in die Minen geschleppt, und meine Kinder hungern. Was soll ich tun?«
»Sie haben meinen Sohn mitgenommen!« rief ein Mann.
Andere riefen: »Wann wirst du uns von den Römern befreien?«
»Wann wird der Pfeil abgeschossen werden?«
Überall in der Dunkelheit hörte man Anklagen und Beschwerden über die tyrannische Herrschaft der Römer. Gaius spürte den Zorn in der Luft und hatte das Gefühl, daß er sich gegen ihn persönlich richtete. Wenn Eilan jetzt nur ein Wort sagte, würde ihn die Menge in Stücke reißen. Aber als er sie verstohlen ansah, schimmerten Tränen in ihren Augen.
» Seid ihr MEINE Kinder,
und hört nicht den Ruf eurer Schwestern?
Wer helfen kann, muß Beistand leisten.
Wer leidet, soll um Hilfe bitten! «
Das dunkle Gewand der Priesterin hob und senkte sich wie Rabenschwingen, als sie sich langsam im Kreis drehte. Über allem schwebte die Stimme der Göttin beschwörend und eindringlich, mütterlich und klug:
» Helft euch gegenseitig! In den geheimen
Schriften des Himmels habe ich den Namen
Roms gefunden. Und ich sage euch, dort steht
geschrieben, daß Rom sterben wird!
Rom wird untergehen, aber es ist nicht an
euch, seinen Untergang herbeizuführen!
Das sind MEINE Worte!
Vergeßt sie nicht!
Denkt an den Kreislauf allen Lebens.
Was ihr heute verliert, werdet ihr eines
Tages wiederfinden. Was man euch genommen
hat, wird euch wiedergegeben werden.
Der Himmel nimmt denen, die zuviel haben,
und gibt denen, die zuwenig haben.
Das Gesetz des Lebens steht über den
Gesetzen der Menschen! Wer stark ist,
wird einem noch Stärkeren begegnen.
Wer die Macht mißbraucht, muß dafür büßen!
Denn mit allem, was ihr tut, richtet ihr
euch selbst! «
Die Stimme der Göttin war zu einem Donner angeschwollen, der über das Land rollte. Es war wie ein Erwachen der ganzen Natur, als SIE jetzt rief:
» Seht, ich bringe euch die Kraft des Himmels,
damit die Erde sich erneuern kann - jetzt
und in alle Ewigkeit! «
Sie hob die Hände und schien den Mond zu umfassen. Gaius glaubte zu sehen, wie die Gestalt plötzlich so zu strahlen schien, daß sich ihre Umrisse in Licht auflösten.
Die Priesterinnen scharten sich um sie und begannen zu singen:
» Heilige Kraft, wirf dein silbernes Licht
Auf diese uralten, heiligen Wälder.
Zeige dich klar wie der Mond
Damit wir sehen
Wie DU der Erde deinen Segen gibst. «
Gaius erbebte. Er hatte nicht gewußt, daß die Stimmen von Frauen so schön sein können. Die ganze Welt schien zu schweigen und zu lauschen.
Die Hohepriesterin
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