Die Wälder von Albion
deutete sie auf ein großes Haus aus behauenen Bohlen, dessen Strohdach fast bis auf den Boden reichte.
»Das ist das Haus der jungen Frauen«, sagte sie. »Eilid ist die Vorsteherin. Sie weiß, daß du kommst, und wird dich in Empfang nehmen. Wenn ich kann, werde ich später noch einmal nach dir sehen. Aber zuerst muß ich zu Lhiannon und fragen, was für Aufgaben sie für mich hat.«
Die schmale Sichel des zunehmenden Mondes stand tief über dem westlichen Horizont. Eine Magd führte Eilan in das Haus und dann durch einen langen Gang. Eilan kam sich plötzlich allein und verlassen vor. Würde sie diesen Schritt nicht doch eines Tages bitter bereuen? War es nicht ein Verrat an Gaius und an ihrer Liebe?
Ein Tor ging knarrend auf, und die Frau führte sie in den Innenhof. Gegenüber befand sich ein langer Bau, der sie an die Halle ihres Vaters erinnerte. Als Eilan eintrat, umgab sie ein Meer fremder Gesichter. Sie blieb stehen und sah sich verloren um. Die Magd nickte kurz und ließ sie allein. Eine der Priesterinnen trat auf Eilan zu.
»Ich bin Eilid«, sagte sie freundlich. »Caillean hat mir ausrichten lassen, daß du kommen würdest.«
»Wo ist Dieda?« fragte Eilan. »Ich hatte gehofft, sie hier zu finden… «
»Dieda ist zu Lhiannon gerufen worden. Die Hohepriesterin bereitet sich auf die Rituale an Lugnasaid vor«, antwortete die Priesterin. »Du siehst Dieda sehr ähnlich. Man könnte euch für Zwillinge halten. Aber woher kennst du Caillean?«
»Sie hat meiner älteren Schwester bei der Entbindung geholfen«, antwortete Eilan. Leise, mehr zu sich selbst fügte sie hinzu: »Ich habe es zum großen Teil ihr zu verdanken, daß ich hier bin.«
»Ich werde dich jetzt in meine Obhut nehmen. Caillean muß ständig an Lhiannons Seite sein. Ja, wirklich, du bist noch viel hübscher, als man mir gesagt hat… «
Eilan errötete und schlug die Augen nieder. Sie fand, die Priesterin war selbst ausnehmend schön. Sie hatte blonde lockige Haare, die ihr zartes Gesicht weich umrahmten. Eilid trug wie die anderen jungen Frauen hier nicht das dunkle rituelle Gewand, sondern ein naturfarbenes, weit geschnittenes Leinenkleid mit einem grünen, gewebten Gürtel um die schmale Taille.
»Du mußt nach dem Ritt todmüde sein«, sagte Eilid. »Komm ans Feuer, Kleines, und wärm dich auf.«
Eilan folgte ihr stumm. Die vielen fremden Gesichter machten sie verlegen.
»Du mußt keine Angst vor uns haben«, hörte sie hinter sich eine fröhliche Stimme. »Wir sind nur halb so viele, wie es für dich jetzt den Anschein hat. Du hättest mich sehen sollen, als ich das erste Mal hierher kam. Ich habe geweint wie ein kleines verlassenes Kind.«
Sie lachte und setzte sich ungezwungen neben Eilan.
»Ich heiße Miellyn. Ich bin jetzt schon fünf oder sechs Jahre hier, und ein anderes Leben kann ich mir kaum noch vorstellen. Alle meine Freundinnen sind hier, und auch du wirst eines Tages genug Freundinnen haben, das kann ich dir versprechen.« Sie lachte und sagte dann: »Du hast ja noch deinen Umhang an. Komm, gib ihn mir. Er ist völlig naß. Ich werde ihn zum Trocknen an die Luft hängen.« Sie nahm Eilan den Umhang ab und ging damit davon.
Eilid hatte mit einer anderen Frau gesprochen. Jetzt kam sie zurück zu Eilan und sagte: »Ich höre gerade, daß Lhiannon dich sofort sehen möchte. Komm mit, ich bringe dich zu ihr.«
Sie gingen durch den Wind und den Nieselregen auf gewundenen Wegen zu Lhiannons Haus. Eilid klopfte. Es dauerte nicht lange, und Caillean öffnete die Tür.
»Eilan? Da bist du ja! Komm herein, Kleines«, sagte sie und rief über die Schulter: »Dieda, sie ist da, wie ich es dir versprochen habe… «
»Das hast du«, hörte man Dieda von drinnen. »Mein Vater ist auch da, und sogar ihr Vater. Das wird ein richtiges Familienfest.« Sie lachte, und es klang hart und böse. »Und wenn Bendeigid seinen Willen durchsetzt, wird Cynric auch bald zur Stelle sein. Ich habe gehört, daß sie deine seherischen Fähigkeiten brauchen, Caillean.«
»Vielleicht aber auch deine«, erwiderte Caillean, und Dieda lachte wieder. Eilan spürte zwischen den beiden Frauen eine starke Feindseligkeit.
»Ich glaube, sie wissen, was ich davon halte«, sagte Dieda. »Wenn es darum geht, Cynric zu rufen, bin ich einverstanden. Ich wehre mich jedoch entschieden dagegen, daß sie einen Orakelspruch beschließen, den Lhiannon dann gehorsam dem Volk verkündet, als sei sie nichts als eine willenlose Puppe Roms… «
»Im Namen der
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