Die Wälder von Albion
Göttin… schweig!« befahl ihr Caillean. »Wenn jemand deine Worte hört… «
»Nur seine Heiligkeit, mein Vater, hat seine Ohren überall«, murmelte Dieda, »und natürlich die Hohepriesterin von Vernemeton. Die beiden erfahren alles, besprechen alles, und sie verkündet das Orakel, das er aus ihrem Mund hören möchte… «
»Sei still, deine Bosheit kennt keine Grenzen«, unterbrach sie Caillean energisch. »Du weißt sehr wohl, daß es nicht gut ist, solche Dinge zu sagen.«
»Vielleicht wird hier noch Schlimmeres begangen, an dem ich keinen Anteil haben will«, erwiderte Dieda mit funkelnden Augen. »Vielleicht wollen sie, daß du ihnen mit deinen Künsten hilfst, damit die römischen Legionäre nicht die Falschen umbringen… « Sie lachte höhnisch. »Was wirst du tun, wenn man so etwas von dir verlangt, Caillean?«
»Ich tue das, was Lhiannon mir zu tun befiehlt«, erwiderte Caillean, »so wie wir alle!«
Eilan hatte den Eindruck, sie versuche Diedas Zorn zu besänftigen, aber es half nichts. Dieda war schon immer etwas bissig gewesen, aber so bitter hatte Eilan sie noch nie reden hören.
»Ich weiß wohl, was wir denken sollen… «, sagte Dieda.
Caillean unterbrach sie energisch. Ihre Stimme klang zwar noch immer ruhig, aber auch ihr stieg jetzt die Zornesröte ins Gesicht. »Du weißt sehr wohl, es kommt nicht darauf an, was du denkst oder was ich denke. Nur der Wille der Hohenpriesterin ist von Bedeutung. Und ich füge mich diesem Willen.«
»Wenn es um ihren Willen geht, gut«, sagte Dieda, »aber kannst du mir sagen, wie Lhiannons Wille unter den derzeitigen Bedingungen durchgesetzt werden soll, falls sich feststellen lassen würde, was sie will. Wer weiß, ob sie überhaupt noch einen Willen hat… «
»Dieda, das hast du alles schon oft genug gesagt«, erklärte Caillean kopfschüttelnd. »Aber, was ist schlimm daran, Cynric hierher zu rufen, damit er, wie es sich gehört, den Tod seiner Ziehmutter betrauern kann… «
»Das hätten wir bereits vor einem halben Mond tun können.«
»Vielleicht, aber mehr wird von dir oder mir nicht verlangt«, sagte Caillean geduldig. »Warum nur bist du plötzlich so dagegen?«
»Vielleicht weißt du es nicht«, antwortete Dieda, »aber ich weiß, daß die Kraft der Göttin dazu benutzt werden soll, Cynric soweit zu bringen, daß er etwas tut, das er geschworen hat, niemals zu tun. Auch Bendeigid hat immer gesagt, er werde lieber sterben, als sich mit Rom verbünden. Du weißt es vielleicht nicht, aber Bendeigid hat sich vor Cynric gestellt, und deshalb ist er geächtet worden… «
»Im Namen der Göttin! Ich weiß selbst einiges über Cynric und über Bendeigid«, erwiderte Caillean ungehalten. »Und du wirst es nicht glauben, aber ich weiß auch einiges über die Römer. Zumindest habe ich länger unter ihrer Herrschaft gelebt als du. Ich kann dir versichern, daß keine deiner Grundsätze oder Cynrics Grundsätze verletzt werden. Denkst du vielleicht, du bist der einzige Mensch in ganz Albion, der weiß, was Cynric vorhat?«
»Ich weiß genug, um… «, begann Dieda, aber Caillean sagte barsch: »Still jetzt. Sie werden uns noch hören. Außerdem muß Eilan inzwischen völlig verwirrt sein… «
Dieda lächelte schuldbewußt. »Da hast du recht, und es ist kein schönes Willkommen für sie, wenn wir uns streiten.«
Sie trat auf Eilan zu und umarmte sie. Eilan ließ es geschehen und schwieg, denn sonst wäre der Streit wieder aufgeflammt.
In diesem Augenblick wurde die innere Tür geöffnet, und Lhiannon erschien.
»Meine Kinder, habt ihr euch gestritten?«
»Oh nein, überhaupt nicht«, erwiderte Caillean schnell, und auch Dieda sagte leise: »Nein, heilige Mutter. Wir haben nur eine neue Novizin begrüßt.«
»ja, ich habe gehört, daß Eilan kommen würde«, sagte Lhiannon. Eilans Herz klopfte laut, als sie die Frau so dicht vor sich sah, die an Beltane wie eine Göttin zu ihnen gesprochen hatte.
»Du bist also Eilan?« fragte Lhiannon freundlich, aber es klang leise, wie erschöpft nach den langen Jahren, in denen sie der Göttin ihre Stimme geliehen hatte. »Es ist wahr, du siehst Dieda sehr ähnlich. Vermutlich sagt dir das jeder. Aber wir müssen uns etwas einfallen lassen, damit wir euch hier unterscheiden können.«
Sie lächelte, und Eilan hatte das seltsame Gefühl, sie müsse die Hohepriesterin irgendwie beschützen.
Lhiannon hob eine Hand und winkte Eilan zu sich, die noch immer unsicher an der Tür stand.
»Komm herein,
Weitere Kostenlose Bücher