Die Wälder von Albion
mein Kind. Vielleicht weißt du schon, daß dein Vater und dein Großvater auch hier sind.«
Als Eilan zu ihr trat, legte Lhiannon den Arm um sie und führte sie in den inneren Raum. Dabei drehte sie sich um und sagte mit ihrer weichen Stimme zu Caillean und Dieda: »Folgt mir. Wir werden euch ebenfalls brauchen.«
Der Raum wirkte klein. Vielleicht lag es nur daran, daß sich so viele Menschen darin versammelt hatten. Von einem brennenden Kohlebecken stieg der Rauch von Kräutern auf. Der starke Duft machte Eilan benommen. Es fiel ihr im ersten Augenblick schwer, zu atmen und etwas zu sehen.
Ihr Vater saß auf der anderen Seite des Feuers. Er hatte sich nach ihrer Ankunft umgekleidet und trug ein weißes Druidengewand mit einem grünen Saum. Sein Gesicht war hager und vom Kummer gezeichnet. Er wirkte fast so alt wie Ardanos, der bei ihrem Eintritt etwas ins Feuer warf.
Ihr Großvater blickte auf die Frauen und sagte: »Jetzt sind alle beisammen. Und ich weiß wieder einmal nicht, wer von euch Dieda und wer Eilan ist.«
Eilan schwieg und wartete, daß eine der älteren Frauen die Antwort gab, aber Dieda erwiderte schnell: »Vater, diesmal ist es leicht für dich. Eilan trägt noch nicht das Gewand der Priesterin.«
»So also soll ich meine Tochter von meiner Enkeltochter unterscheiden! Nun ja, vielleicht liegt es auch an dem Rauch. Aber ich finde, ihr beide seht euch viel zu ähnlich«, erklärte der alte Druide kopfschüttelnd. »Eilan, du bist in einer schweren Zeit hier eingetroffen. Wir müssen Cynric zu unseren Beratungen rufen. Da er in deiner Familie aufgewachsen ist, wird deine Anwesenheit uns helfen. Caillean, bist du bereit?«
Caillean erwiderte ruhig: »Wenn Lhiannon es so will… «
»Ja, ich will es«, sagte Lhiannon zu Caillean. »Was auch immer daraus entstehen mag, Cynric muß erfahren, daß seine Mutter und seine kleine Schwester durch die Räuberbande umgekommen sind. Die Römer sind nicht unsere einzigen Feinde, und sie bieten uns jetzt ihre Hilfe an… «
Dieda stieß leise zwischen den Zähnen hervor: »Wie willst du das Mairi erklären, Vater?«
»Sei ruhig, mein Kind«, ermahnte sie Ardanos. »Was du auch denken magst, Macellius Severus ist ein guter Mann. Als ich ihm von dem Überfall berichtet habe, war er so zornig, als hätten sie sein Haus abgebrannt.«
»Das bezweifle ich«, murmelte Dieda, aber so leise, daß nur Caillean und Eilan es hörten.
Der alte Druide sah sie nur stirnrunzelnd. »Caillean, bitte… «
Mit einem Blick auf Lhiannon ging Caillean zu einer Truhe und holte eine silberne Schale heraus. Sie hatte eine schlichte Form, aber die Außenseite war mit kunstvoll getriebenen Ornamenten verziert. Caillean füllte die Schale mit Wasser aus einem Krug und stellte sie auf den Tisch. Ardanos zog einen dreibeinigen Hocker herbei, damit sich Caillean setzen konnte. Lhiannon nahm in einem geschnitzten Armlehnstuhl gegenüber Platz.
Ardanos hob die Hand. »Warte, Caillean! Dieda, du stehst ihm am nächsten. Du solltest an der Stelle von Caillean ins Wasser blicken und ihn rufen.«
Dieda errötete, und Eilan dachte, sie werde rundweg ablehnen. Dieda hatte schon immer mehr Mut gehabt als sie. Aber Ardanos sah die ganze Zeit sie an - hatte ihr Großvater sie wieder einmal verwechselt?
Ardanos hatte seinen Irrtum offenbar bemerkt, denn jetzt richtete er den Blick auf Dieda. »Eilan ist seine Schwester, aber du wolltest ihn heiraten. Mein Kind, deshalb bitte ich dich, es zu tun… « So liebenswürdig hatte Eilan ihn noch nie erlebt. »Tu es für deine Schwester Rheis, ich bitte dich. Sie war seine Ziehmutter.«
Er spielt mit uns, als seien wir die Saiten seiner Harfe, dachte Eilan. Auch Dieda vermochte sich dem Klang seiner Stimme nicht zu entziehen und murmelte: »Wie du willst, Vater… « Sie nahm vor der Schale Platz.
Ardanos richtete sich auf, und seine Worte klangen wie ein Gesang: »Wir sind zusammengekommen, wir sind an diesem geweihten Ort, der rein ist und unter dem Schutz der Göttin steht, um Cynric zu rufen - Cynric, Bendeigids Ziehsohn.
Ihr, die ihr euch hier versammelt habt, steht ihm von allen Lebenden am nächsten. Ruft euch sein Bild ins Gedächtnis und stimmt mit euren Herzen in den Ruf ein.«
Mit seinem Stab schlug er dreimal auf den Boden, und Eilan hörte den hellen Klang von silbernen Glöckchen.
»Cynric, Cynric, wir rufen dich!« rief er plötzlich mit volltönender, tiefer Stimme.
Eilan fuhr zusammen, denn plötzlich schien es im Raum heller zu
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