Die Waffen nieder!
Gemüter; der Name »die Preußen« drückt alles aus, was es Hassenwertes gibt. Mein einziger Gedanke ist Friedrich – und keine, keine Nachricht!
Nach einigen Tagen langte ein Brief Doktor Bressers an. Er war in der Umgebung des Schlachtfeldes tätig, um zu helfen, was er helfen konnte. Die Not sei grenzenlos, schrieb er, jeder Einbildungskraft spottend. Er hatte sich einem sächsischen Arzte, Doktor Brauer, angeschlossen, der von seiner Regierung ausgesandt worden war, um nach dem Augenschein über die Lage zu berichten. In zwei Tagen sollte auch eine sächsische Dame ankommen – Frau Simon, eine neue Miß Nightingale – welche seit Ausbruch des Krieges in Dresdner Hospitälern tätig gewesen, und welche sich erboten hatte, die Reise nach den böhmischen Schlachtfeldern anzutreten, um in den umliegenden Hospitälern Hilfe zu leisten. Doktor Brauer und mit ihm Doktor Bresser wollten sich an dem bestimmten Datum, sieben Uhr abends, nach Königinhof, der letzten Station vor Königgrätz, bis wohin die Eisenbahn noch verkehrte, begeben und die mutige Frau daselbst erwarten. Bresser bat uns, womöglich eine Sendung von Verbandzeug und dergleichen nach jener Station zu schicken, damit er sie dort in Empfang nehmen könne. Kaum hatte ich diesen Brief gelesen, war mein Entschluß gefaßt: – Die Kiste mit Verbandszeug würde ich selber bringen. In einem jener Spitäler, welche Frau Simon besuchen wollte, lag möglicherweise Friedrich .... Ich würde mich ihr anschließen und den teuren Kranken finden, pflegen, retten .... Die Idee erfaßte mich mit zwingender Gewalt, so zwingend, daß ich sie für eine magnetische Fernwirkung des sehnenden Wunsches auffaßte, mit dem der Geliebte nach mir rief.
Ohne jemandem aus meiner Familie meinen Vorsatz mitzuteilen – denn ich wäre nur auf allseitigen Widerspruch gestoßen – machte ich mich ein paar Stunden nach Erhalt des Bresserschen Briefes auf den Weg. Ich hatte vorgegeben, daß ich die von dem Doktor verlangten Dinge in Wien selber besorgen und expedieren wolle, und so konnte ich ohne Schwierigkeit von Grumitz fortkommen: von Wien aus würde ich dann meinem Vater schreiben: »Bin nach dem Kriegsschauplatz abgereist.« Wohl stiegen mir Zweifel auf: Meine Unfähigkeit und Unerfahrenheit, mein Abscheu vor Wunden, Blut und Tod; aber diese Zweifel verjagte ich: Was ich tat, ich mußte es tun. Des Gatten Blick flehend und gebietend, war auf mich gerichtet, von seinem Schmerzenslager streckte er die Arme nach mir aus und: »Ich komme, ich komme«, war das einzige, was ich zu denken vermochte.
Ich fand die Stadt Wien in unsäglicher Aufregung und Bestürzung. Verstörte Gesichter ringsumher. Mein Wagen kreuzte sich mit mehreren Wagen, die mit Verwundeten gefüllt waren. Immer spähete ich, ob nicht etwa Friedrich darunter sei ... Aber nein: Sein Sehnsuchtsruf, der an meinen Fibern zerrte, drang von weiter her – von Böhmen. Hätte man ihn zurücktransportiert, so wäre die Nachricht davon gleichzeitig zu uns gelangt.
Ich ließ mich in einen Gasthof führen. Von dort aus besorgte ich meine Einkäufe, expedierte den für Grumitz bestimmten Brief, warf mich in einen möglichst einfachen, strapazenfähigen Reiseanzug und fuhr nach dem Nordbahnhof. Ich wollte den nächstabgehenden Zug benutzen, um rechtzeitig an meine Bestimmung zu gelangen. Es war wie eine fixe Idee, unter deren Herrschaft ich meine Handlungen ausführte.
Auf dem Bahnhof herrschte reges – Leben – oder soll ich »reges Sterben« sagen? Die Halle, die Säle, der Perron; alles voll Verwundeter, viele davon in den letzten Zügen. Und ein massenhaftes Menschengewirre: Krankenpfleger, Sanitätssoldaten, barmherzige Schwestern, Ärzte; Männer und Frauen aus allen Gesellschaftsklassen, die da kamen, um nachzusehen, ob der letzte Transport nicht einen von den Ihren gebracht; oder auch, um unter die Verwundeten Geschenke, Wein, Zigarren usw. zu verteilen. Das Beamten- und das Dienstpersonal überall bemüht, das vordringende Publikum zurückzudrängen. Auch mich wollte man wieder fortschicken:
»Was wollen Sie? ... Platz da! ... Das Überreichen von Eß- und Trinkwaren ist verboten ... wenden Sie sich an das Komitee ... dort werden die Geschenke in Empfang genommen« ...
»Nein, nein«, sagte ich, »ich will abreisen. Wann fährt der nächste Zug?«
Auf diese Frage konnte ich lange keine Auskunft erhalten. Die meisten Abfahrtszüge seien eingestellt, erfuhr ich endlich, da die Linie für ankommende Züge, die
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