Die Waffen nieder!
uneingestandenen Gründen – oder auch ohne Gründe, bloß instinktiv – eine Sache vertreten und hier alle ihnen je zu Ohren gekommenen Phrasen und Gemeinplätze benutzen, welche zur Verteidigung der betreffenden Sache im Umlauf gesetzt worden sind. Daß diese Argumente von den verschiedensten Standpunkten ausgehen, daß sie daher einander nicht nur nicht unterstützen, sondern mitunter geradezu aufheben, das ist jenen einerlei. Nicht weil diese oder jene Schlüsse dem eigenen Nachdenken entsprungen und der eigenen Überzeugung gemäß sind, sind sie zu ihrer aufgestellten Behauptung gelangt, sondern nur um diese letztere zu stützen, gebrauchen sie auswahllos die von anderen Leuten durchdachten Folgerungen.
Das alles konnte ich mir zwar damals, wenn ich mit meinem Vater über das Thema Krieg und Frieden stritt, nicht so ganz klar machen; erst später habe ich mir angewöhnt, den Verrichtungen des Geistes im eigenen und im Kopfe anderer beobachtend nachzuspüren. Ich erinnere mich nur, daß ich immer höchst ermüdet und abgespannt aus diesen Diskussionen hervorging, und jetzt weiß ich, daß diese Ermüdung von dem »Im-Kreise-nachlaufen« kam, zu welchem mich meines Vaters Streitweise zwang. Der Schluß war dann jedesmal ein seinerseits mit mitleidigem Achselzucken gesprochenes »Das verstehst du nicht«, welches – da es sich um militärische Dinge handelte – im Munde eines alten Generals, einer jungen Frau gegenüber, gewiß sehr gerechtfertigt klang.
* * *
Neujahr 1866. Wieder saßen wir alle – bei Punsch und Faschingkrapfen – um meines Vaters Tisch versammelt, als die erste Stunde dieses verhängnisvollen Jahres schlug. Es war ein heiteres Fest. Zugleich mit Silvester feierten wir eine Verlobung: Konrad und Lilli. Als der Zeiger auf zwölf wies und auf der Straße einige Freudenschüsse losgingen, umschlang mein unternehmender Vetter das neben ihm sitzende Mädchen, preßte – zu unser aller Staunen – einen Kuß auf ihre Lippen und fragte dann:
»Willst du mich in 66?«
»Ja – ich will,« antwortete sie; »ja – ich hab' dich lieb, Konrad.«
Das war nun von allen Seiten ein Gläser-erklingen-lassen und Umarmen und Händeschütteln, und Glück- und Gegenwünschen ohne Ende:
»Das Brautpaar soll leben« – »Konrad und Lilli – hoch!« – »Gott segne euren Bund, Kinder« – »Gratuliere herzlichst, Vetter« – »Sei glücklich Schwester« und so weiter und so weiter. Eine freudige und gerührte Stimmung bemächtigte sich unser aller. Vielleicht nicht bei allen ganz neidlos; denn so wie der Tod das traurigste und bedauernswerteste Ereignis abgibt, so ist die Liebe – die zum lebenschaffenden Bunde sanktionierte Liebe – das fröhlichste und beneidenswerteste. Ich konnte zwar von Neid nichts spüren, denn mir war das der neuen Braut erst verheißene Glück schon zum wirklichen und festen Besitz geworden; es beschlich mich eher ein Gefühl des Zweifels: »So ein vollkommenes Glück, wie es mir von Friedrich bereitet wird, kann wohl der armen Lilli kaum zu teil werden ... Konrad ist zwar ein allerliebster Mensch, aber – es gibt nur einen Friedrich!«
Mein Vater machte dem Gratulationstumult ein Ende, indem er mit dem an seinem kleinen Finger befindlichen Siegelring an das Glas klopfte und sich zum Sprechen erhob:
»Meine lieben Kinder und Freunde« – sagte er ungefähr – »das Jahr sechsundsechzig fängt gut an. Mir bringt es schon in der ersten Stunde die Erfüllung eines Lieblingswunsches – denn auf den Konrad als Schwiegersohn hatte ich es lange abgesehen. Hoffen wir, daß dieses freundliche Jahr auch unsere Rosa unter die Haube und euch – Martha und Tilling – einen Storchbesuch bringt ... Ihnen, Doktor Bresser, soll es zahlreiche Patienten verschaffen – was zwar mit den vielen Gesundheitswünschen, die heute ausgetauscht werden, nicht recht klappt ... und dir, liebe Marie, beschere es – vorausgesetzt, daß es dir bestimmt sei, ich kenne und ehre deinen Fatalismus – einen Haupttreffer, oder einen vollständigen Ablaß, oder was du dir sonst wünschen magst; ... dich, mein Otto, beschenke es mit zahlreicher »Eminenz« zu deiner Schlußprüfung und mit allen möglichen soldatischen Tugenden und Kenntnissen, damit du einst eine Zierde der Armee und Stolz deines alten Vaters werdest ... Letzterem muß ich doch auch einiges Gute zukommen lassen, und da dieser keine höheren Wünsche kennt, als das Wohl und den Ruhm Österreichs, so möge das kommende Jahr dem Lande
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