Die wahre Koenigin
näher und sah sich verlegen um. Noch nie war er im Gemach einer Dame gewesen.
„Ich ... ich wollte nur nachschauen, ob Ihr etwas braucht, Mylady.“ Jamies Adamsapfel hüpfte bei jedem Wort auf und nieder.
Meredith lächelte. „Wie nett von dir, Jamie. Kannst du Gedanken lesen? Ich fühlte mich gerade ein wenig allein.“ Sie zog einen Stuhl vor. „Komm, setz dich. Leiste mir ein bisschen Gesellschaft.“
Gefolgt von den Hunden, durchquerte Jamie mutig den Raum. Wie ein flugbereiter Vogel hockte er sich auf die äußerste Kante des Stuhls. Die Hunde schnupperten aufgeregt herum und ließen sich dann zu seinen Füßen nieder.
„Was treibst du denn so, jetzt, wo Brice und die anderen nicht da sind?“, begann Meredith die Unterhaltung.
„Ich helfe in den Ställen und begleite die Männer manchmal auf ihren Erkundungsritten. “
„Und was erkunden sie?“
„Sie bewachen die Wege, damit wir vor ungebetenen Gästen sicher sind.“
Jamies Lächeln erinnerte Meredith an das Lächeln eines anderen Mannes. „Vermisst du Brice Campbell, wenn er fort ist?“ „Oh ja. Jedesmal, wenn er Kinloch House verlässt, wird es hier grabesstill. Sonst ist immer Leben im Haus, aber jetzt... Als wären alle eingeschlafen, als würden sie alle warten, von Brice geweckt zu werden.“
Was für eine zutreffende Beschreibung, dachte Meredith. „Und die Hunde? Brechen sie ihrem Herrn die Treue, sobald er aus dem Haus ist?“
Jamie kraulte dem neben ihm liegenden Tier das Nackenfell, worauf der Hund sofort aufsprang, den Kopf auf Jamies Knie legte und ihn sorgenvoll anblinzelte. „Nein. Die Hunde hören auf mich und lassen sich von mir streicheln. Aber treulos sind sie nicht. Sie lieben einzig und allein Brice. Nur ihn erkennen sie an.“ Jamie schwieg einen kurzen Moment. „Genau wie ich“, fügte er hinzu.
Meredith war von seiner schlichten Feststellung gerührt. „Cara hat mir deine Geschichte erzählt. Hast du manchmal Heimweh nach deinem Zuhause in den Lowlands?“
Jamie schüttelte den Kopf. „Ich erinnere mich an nichts mehr. Als mein Vater und ich hierherkamen, war ich noch ein Kind.“
„Kommst du dir nicht manchmal treulos gegenüber deinem Clan vor? Du hast einem Highlander Gefolgschaft geschworen. Rührt sich da nicht dein Ehrgefühl?“
Jamie stand auf und ging ans Fenster. Eine Weile blickte er schweigend hinaus. Als er sich endlich umdrehte und sprach, klang seine raue Jungenstimme auf einmal sanft und wie die Brise der Nacht.
„Ich weiß, dass Brice Campbells Pfeile auch meinen Vater hätten töten können. Und mein Verstand sagt mir, dass ich den Tod meiner Leute rächen müsste. Aber hier“, Jamie berührte mit der Hand sein Herz, „hier fühle ich anders. Brice hat mich aufgenommen und unter seinen Schutz gestellt. Er gab mir Nahrung und Kleidung. Er hat mir das Lesen und Reiten beigebracht. Er hat mich gelehrt, den Sternenhimmel zu lesen und mit Waffen umzugehen.“
„Aber er ist streng, nicht wahr?“, warf Meredith lächelnd ein.
„Ja, er ist streng, weil er mich zu einem Mann erziehen will. Sein Lob macht mich stolz und glücklich. Obwohl ich ein MacDonald aus den Lowlands bin, ist Brice jetzt mein Vater. Ich würde nie etwas tun, was seine Ehre kränken könnte.“ Tränen der Rührung brannten Meredith in den Augen. Sie ging zum Fenster und berührte Jamie sanft bei der Schulter. „Ich habe eine kleine Schwester“, sagte sie leise. „Megan ist ungefähr in deinem Alter. Und sie ähnelt dir sehr. “
„Eine Schwester?“ Für Jamie war es kaum fassbar, dass irgendwo ein Wesen existierte, das noch kleiner und zarter war als die Frau neben ihm.
„Ja, sogar zwei. Brenna ist die ältere der beiden. Sie hat dunkles Haar und Augen von der Farbe der Heideblüten. Sie ist ein sanftmütiges Mädchen, das keiner Kreatur etwas zuleide tun könnte. Und Megan ...“ Meredith musste unwillkürlich lachen. „Megan ist goldblond wie die Sonne und wild und frei wie der Wind in den Lowlands.“
Jamie schwieg, aber Meredith, die nachdenklich ins Dunkel hinaussah, konnte seinen Blick spüren. Er fühlte sich einsam, genau wie sie.
„Setz dich, und erzähl mir von dir“, sagte sie. „Erzähl mir von deinem Leben in Kinloch House.“
Sie saßen an dem warmen Platz vor dem Feuer. Sie plauderten und lachten. Meredith hatte ihre Sorgen vergessen und Jamie seine Rolle des kühnen jungen Kriegers. In diesem Moment konnte er sich keinen Ort vorstellen, an dem er lieber gewesen wäre als in diesem
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