Die wahre Koenigin
Flüsterton.
Ja, dachte Meredith, diese Männer lieben Brice. Sie lieben und verehren ihn.
Die Zeit verstrich. Das Tageslicht ging in Dämmerung über und das Dämmerlicht in nachtschwarze Dunkelheit. Nur das Kaminfeuer und eine Kerze spendeten Licht in dem stillen Raum, in dem Leben und Tod seit Stunden einen lautlosen Kampf ausfochten.
Meredith wandte nicht den Blick von Brice, sie benetzte seine Lippen, tupfte ihm die Schweißperlen von der Stirn, wartete auf eine Regung in seiner leblosen Miene.
Nichts geschah. Die Zeit zog sich endlos langsam dahin. Die Bewohner des Schlosses hatten sich schlafen gelegt, nachdem sie ihre Toten vorerst in das ausgebrannte Lagerhaus gebracht hatten.
Die Toten ruhten, die Verwundeten waren versorgt. Alles schlief. Nur Meredith wachte. Aber sie spürte, wie die Müdigkeit sie allmählich übermannte. Immer öfter schrak sie davon hoch, dass ihr der Kopf auf die Brust sackte. Sie konnte nur noch mit Mühe die Augen offen halten und zwang sich mit aller Gewalt, wach zu bleiben.
Sie musste in einen unruhigen Dämmerschlaf gefallen sein, denn sie erwachte davon, dass die Tür geöffnet wurde. Jamie kam hereingeschlichen und kauerte sich neben Meredith. Angstvoll heftete er den Blick auf Brice.
„Warum schläfst du nicht?“, fragte Meredith sanft.
„Ich kann nicht schlafen“, flüsterte Jamie.
Meredith legte ihm mitfühlend den Arm um die Schulter. „Wenn Brice aufwacht, wird er dich so mit Aufgaben überhäufen, dass du dich bald nach einem Bett sehnen wirst.“ „Glaubt Ihr, was Ihr da sagt, Mylady?“
„Ich muss es glauben“, flüsterte Meredith, „und du auch.“ Sie fühlte Jamie in ihren Armen beben, und dann brachen alle seine angestauten Gefühle aus ihm hervor.
„Ich habe solche Angst, Mylady“, sagte er und weinte. „Ich habe Angst vor dem Einschlafen, weil Brice vielleicht nicht mehr da ist, wenn ich aufwache. Und ... und dann werde ich ihm nie sagen können, wie sehr ich ihn liebe.“
„Oh Jamie, mein Junge.“ Meredith nahm ihn in die Arme. „Sein Schicksal liegt nicht in unseren Händen. Wir haben getan, was wir tun konnten. Jetzt heißt es abwarten.“
„Darf ich hierbleiben, Mylady? Bei ihm?“
„Natürlich, Jamie. Wenn es dich beruhigt.“ Meredith breitete die Federkissen und Laken auf den Boden, die Cara ihr für den Fall dagelassen hatte, dass sie schlafen wollte. „Komm, leg dich hin. Ich decke dich zu.“
Jamie kam sein Ansinnen plötzlich vermessen vor. „So dicht neben ihm? Wird er auch nichts dagegen haben?“
„Ich bin sicher, dass er sich sehr freuen würde.“ Meredith stopfte die Felldecke fest, beugte sich über Jamie und gab ihm einen Kuss auf die Wange, so wie zu Hause bei ihren Schwestern. „Schlaf gut, Jamie. Gott segne dich und Brice.“
Lange lag Jamie noch wach, erfüllt von Merediths Sanftmut und ihrem zarten Kuss. Nie in seinem Leben würde er diese Nacht vergessen, an der Seite von Brice, dessen Schlaf er bewachte, und von Meredith, bei der er sich geborgen fühlte wie ein ganz kleines Kind.
Endlich schlief Jamie ein.
11. KAPITEL
Genau so hatte Brice sich die Hölle vorgestellt. So also fühlte man sich, wenn man zu ewigen Qualen verdammt war. Der ganze Körper eine einzige schwärende Wunde und ringsum beißender Gestank von Feuer und Schwefel.
Brice wusste, warum ihm diese Strafe erteilt worden war. Und er hatte sie verdient, denn durch sein Versagen war Meredith in Gareth MacKenzies Fänge geraten.
Und das nur, weil er den schwersten Fehler begangen hatte, den ein Krieger begehen konnte. Er hatte sich ablenken lassen. In dem Augenblick, als Meredith in der Tür erschienen war, hatte er nicht mehr auf seine Gegner geachtet. Sie hatten ihn überrumpelt und vernichtet, und es geschah ihm recht.
Niemals zuvor hatte eine Überzahl von Soldaten ihn geschreckt. Er war als Krieger geboren und zum Krieger erzogen worden. Dem Tod hatte er stets furchtlos ins Auge gesehen, und sein unerschrockener Mut war sein Schutzschild gewesen.
Doch das war vor Meredith gewesen. Mit ihrem Auftauchen hatte sich alles geändert. Die schöne Frau aus den Lowlands hatte ihn verwundbar gemacht.
Sie hatte ihn im entscheidenden Moment abgelenkt, und seine Schwäche hatte den Kampf entschieden. Bis in alle Ewigkeit würde er für seinen sträflichen Fehler büßen müssen.
Meredith. Sie war tot, hingemordet von Gareth MacKenzie und seinen Kumpanen.
Wieder überflutete Brice eine Welle unerträglicher Schmerzen. Er bäumte sich
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