Die wahre Koenigin
am Ufer des Tweed! In der Ferne zeichneten sich die Cheviot-Hills ab, und hinter der Hügelkette lag England.
Doch viel näher ragten vom gegenüberliegenden Ufer Zinnen und Türme auf. Die Türme des MacAlpin-Schlosses.
Daheim. Meredith war zu Hause. Die Tränen strömten ihr aus den Augen.
Sie ließ sich vom Sattel gleiten, kniete sich ans Ufer und löschte ihren Durst. Dann nahm sie den Umhang ab, faltete ihn sorgsam und stieg wieder aufs Pferd. Sie strich dem Tier aufmunternd über die Mähne und lenkte es behutsam ins Wasser. Als es tiefer wurde, begann das Pferd zu schwimmen. Sicher, aber vor Kälte zitternd, erreichten sie das andere Ufer.
Meredith hüllte sich fest in ihr Cape, beugte sich nach vorn und trieb das Pferd zum Galopp an. Der Nachtwind spielte in ihrem Haar. Der Wind, der sanfte Wind der Lowlands. Merediths Herz jubelte. Noch wenige Meilen, und sie würde daheim sein.
Wie gern wäre sie in halsbrecherischem Tempo in den Hof galoppiert, so, wie sie es unzählige Male getan hatte. Wie sie dem Augenblick entgegenfieberte, da der alte Bancroft mit seiner brüchigen Stimme ihre Ankunft meldete. Und wie sehr sie sich wünschte, ins Schloss zu stürmen und ihre Schwestern in die Arme zu schließen.
Aber all das musste warten.
Zuerst musste Meredith herausfinden, ob nicht MacKenzie schon die Herrschaft in dem Schloss übernommen hatte.
Sie ließ das Pferd im Schutz einer Baumgruppe zurück und schlich zum rückwärtigen Eckturm des Schlosses. Hinter einen Busch gekauert, sah sie zu den dunklen Fenstern des oberen Geschosses hinauf. Jetzt kamen ihr die Streiche aus ihrer
Kindheit zugute. Wie oft hatten sie und ihre Schwestern ihre Mutter erschreckt, wenn sie von außen auf die Balkons geklettert waren. Sie kannten jeden Stein, jede Nische und jeden kleinen Vorsprung in der Mauer.
Meredith legte das Cape ab und zog sich an einem vorspringenden Stein hoch, während sie mit dem Fuß Halt suchte. Sie streckte die Hand aus und hielt sich an einem herausragenden Mauerstück fest. Vorsichtig zog sie die Füße nach. Stück für Stück kletterte sie höher, bis sie den Sockel des Balkons erreicht hatte. Mit letzter Kraft zog sie sich hoch, stieg über die Brüstung und plumpste auf den Boden.
Als ihr Atem wieder ruhig ging, setzte sie sich auf und lauschte. Kein Laut war zu hören. Sie drückte die Tür auf und betrat leise das Zimmer.
Der Raum war ausgekühlt. Offenbar hatte in dem Kamin schon lange kein Feuer mehr gebrannt. Meredith öffnete leise die Tür und huschte den Korridor hinunter. Sie schlich an mehreren Türen vorbei, bis sie vor einem Zimmer stehen blieb und wieder lauschte. Nach einer Weile stieß sie die Tür auf und betrat auf Zehenspitzen den Raum.
Die einladende Wärme eines prasselnden Kaminfeuers empfing sie. Durch die angelehnte Tür zum Nebenraum sah sie schattenhafte Bewegungen. Jemand rüstete zum Schlafengehen.
Meredith schlich näher und warf einen vorsichtigen Blick durch den Türspalt. Sie schob die Tür auf und trat ins Licht.
Die zierliche junge Frau mit dem pechschwarzen Haar riss erschrocken die Augen auf. Dann rannte Brenna ihrer Schwester mit ausgebreiteten Armen entgegen. „Meredith. Oh Meredith!“
Die beiden Frauen fielen sich in die Arme. Sie lachten und weinten gleichzeitig.
„Bist du es wirklich?“, schluchzte Brenna. „Sie haben uns erzählt, du seist tot.“
„Schau mich an, und überzeug dich vom Gegenteil.“ Meredith lachte.
„Ja, lass mich dich anschauen.“ Brenna trat zurück, musterte ihre große Schwester und zog sie gleich wieder an sich.
„Du bist eiskalt. Und nass.“
„Was Wunder? Ich bin durch den Fluss geritten.“
„Komm, du holst dir ja den Tod.“ Brenna zog Meredith die nassen Kleider aus und hüllte sie in ein hermelingefüttertes Samtcape.
Aus einer dunklen Ecke des Zimmers löste sich ein Schatten. Eine alte Frau starrte Meredith an wie einen Geist. „Du wirst dir den Tod holen, Kind! Raus aus den nassen Stiefeln!“
„Morna.“ Meredith ging auf ihre alte Kinderfrau zu und wollte sie an sich drücken.
„Die Stiefel, Mädel, hörst du nicht?“, brummte Morna und wehrte die Zärtlichkeit ab. Doch plötzlich liefen ihr Tränen über die runzligen Wangen. Sie breitete die Arme aus und drückte Meredith an ihre Brust. „Oh mein Mädel“, schluchzte sie. „Ich dachte, ich würde dich nie Wiedersehen.“
„Ist ja gut, Morna.“ Meredith tätschelte der alten Frau die Schulter und schob sie sanft von sich. „Sieh
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