Die wahre Lehre - nach Mickymaus
daran, Mary zu rufen und sie ihr zu zeigen, doch ich ließ es dann wieder bleiben. Der Klang meiner Stimme, der Anblick meines Gesichts regen sie auf. Sie liebt nur die Tätowierung und interessiert sich für nichts anderes.
Wenn ich aufhöre, die Ebene zu betrachten, gehe ich auf die andere Seite. Im Westen, wo sich der Ozean befindet, gibt es jetzt meilenweit nur noch von Sprüngen durchzogenen schwarzen Meeresboden. Die einzige Ähnlichkeit mit einer großen Wasserfläche bewirken die gelegentlichen Staubstürme, die aus dem Westen wie große Gezeitenwellen heranjagen und die Fenster am hellichten Tag schwarz färben. Und die Lebewesen. Hauptsächlich mutierte Wale, die ungeheuerlich groß und schwerfällig sind. Heutzutage gibt es sie im Überfluß, während sie einst beinahe ausgestorben waren. (Vielleicht sollten die Wale jetzt eine Art GREENPEACE-Organisation für Menschen gründen. Was meinst du, Tagebuch? Du mußt mir nicht antworten. Es ist nur ein weiterer kleiner Wissenschaftler-Witz.)
Diese Wale kriechen von Zeit zu Zeit in der Nähe des Leuchtturms über den Meeresboden, und wenn sie dazu Lust haben, schieben sie ihre Köpfe in die Nähe des Turms und betrachten ihn. Ich warte immer darauf, daß einer von ihnen herunterklatscht und uns zerquetscht wie Wanzen. Aber soviel Glück haben wir nicht. Aus einem unerfindlichen Grund verlassen die Wale nie den zersprungenen Meeresboden, um sich auf das Gebiet zu wagen, das wir früher Strand nannten. Es ist, als lebten sie in unsichtbarem Wasser und wären daran gefesselt. Vielleicht ist es das genetische Gedächtnis. Oder vielleicht enthält der gesprungene schwarze Boden etwas, das sie brauchen. Ich weiß es nicht.
Ich sollte wahrscheinlich erwähnen, daß ich einmal außer den Walen einen Hai gesichtet habe. Er glitt in großer Entfernung vorbei, und die Spitze seiner Flosse glitzerte im Sonnenlicht. Ich habe auch seltsame Fische mit Beinen und andere Wesen erblickt, die ich nicht benennen konnte. Ich werde sie vielleicht als Walfutter bezeichnen, weil ich einmal gesehen habe, wie ein Wal mit dem Unterkiefer über den Boden fuhr und die Geschöpfe, die hastig versuchten zu fliehen, in sich hineinschaufelte.
Aufregend, was? So verbringe ich jedenfalls meine Tage. Ich schlendere mit dem Feldstecher um den Turm herum, komme herein, um in dir zu schreiben, und warte ungeduldig darauf, daß Mary nach den Geräten greift und mir das Zeichen gibt. Schon der Gedanke daran bringt mir eine Erektion. Man könnte es wahrscheinlich als unseren Geschlechtsakt bezeichnen.
Und was tat ich an dem Tag, an dem sie die Große Bombe abwarfen?
Ich freue mich, daß du danach fragst, Tagebuch, wirklich. Ich tat das Übliche. Ich stand um sechs auf, ging scheißen, duschte und rasierte mich. Ich frühstückte. Ich kleidete mich an. Ich band mir die Krawatte. Ich erinnere mich, daß ich letzteres vor dem Schlafzimmerspiegel tat und dabei bemerkte, daß ich mich schlecht rasiert hatte. Ein Rest meines schwarzen Bartes zierte mein Kinn wie ein blauer Fleck.
Ich rannte ins Bad, um diesen Mißstand zu beheben, öffnete die Tür, und Rae stieg nackt wie am Tag ihrer Geburt aus der Badewanne.
Sie drehte sich überrascht um und sah mich an. Mit einem Arm bedeckte sie ihre Brüste, und die zweite Hand ließ sich wie eine weiße Taube im Busch ihrer Schamhaare nieder. Verlegen murmelte ich: »Entschuldige«, schloß die Tür und ging zur Arbeit – unrasiert. Es war ein unschuldiger Zwischenfall. Ein Zufall. Nichts Sexuelles. Aber wenn ich jetzt an sie denke, dann ist es meist dieses Bild, das mir als erstes einfällt. Vermutlich war es der Augenblick, in dem mir klar wurde, daß mein Kleines zu einer schönen Frau herangewachsen war.
Es war auch der Tag, an dem sie zum erstenmal ins College ging und – wenn auch nur einen Augenblick lang – das Ende der Welt erlebte.
Und es war der Tag, an dem das Dreieck – Mary, Rae und ich – zerbrach.
Wenn meine erste Erinnerung an Rae der Tag ist, an dem sie nackt in der Badewanne stand, dann ist die erste Erinnerung an unsere Familie ein Tag in ihrem sechsten Lebensjahr. Wir gingen oft in den Park; sie fuhr mit dem Karussell, stieg in die Schaukel und in die Achterbahn und landete schließlich auf meinem Rücken. (»Ich will bei Daddy Huckepack reiten.«) Wir galoppierten herum, bis meine Beine aus Gummi waren, und machten dann bei der Bank halt, auf der Mary saß und auf uns wartete. Ich drehte Mary den Rücken zu, so daß sie Rae
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