Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
weiter verfolgt worden waren, obwohl die Täter bekannt waren und ausreichende Beweise vorlagen. Keiner war wirklich schwerwiegend. Zweimal Alkohol am Steuer, eine heftige Geschwindigkeitsübertretung. Ein Angriff auf einen Taxifahrer. Vorfälle, die verschwinden, die leicht aus dem Umlauf genommen und im Archiv vergraben werden konnten. Und das war mit ihnen geschehen, sie waren in riesigen Archiven gelandet, ungelesen und ungesehen, beschützt von Backes schlechtem Gewissen, von Schuldgefühlen und seiner Liebe zu seiner Frau, bis sie dann bei Knut Sidensvans’ Untersuchungen über norwegische Großstadtkriminalität wieder aufgetaucht waren. Achtzehn Jahre später.
»Glauben Sie, daß sie mir verzeiht«, fragte Backe leise.
Hanne schob die Unterlagen zurück in ihren Hosenbund und zog ihre Jacke an. Als sie die Tür erreicht hatte, drehte sie sich um. Der erschöpfte Mann sah so klein aus in dem riesigen Wohnzimmer, so fehl am Platze, als sei er zufällig und ungebeten hier hereingeplatzt. Er hob das Glas an den Mund und trank.
»Davon bin ich überzeugt«, sagte sie und nickte. »Sie hat Ihnen schon längst verziehen.«
»Nur, wenn …«, flüsterte Hermine und versuchte zu husten.
Ihre Lunge hatte nicht genug Kraft, und ihre Magenmuskeln gaben nach. Als sie weitersprach, hörte Hanne Wilhelmsen, daß ihre belegten Stimmbänder vibrierten.
»Nur, wenn Sie garantieren, daß Sie deshalb hier sind.«
»Ich schwöre«, sagte Hanne und hob die Hand halb, wie zu einem heiligen Eid.
Die Ärztin schaute zweifelnd zuerst die Patientin und dann die Hauptkommissarin an.
»Ich weiß ja noch immer nicht so recht«, sagte sie. »Und ich habe es noch nie erlebt, daß eine Polizeibeamtin ganz allein kommt.«
»Hauptkommissarin«, korrigierte Hanne, ohne sie anzusehen. »Und jetzt haben Sie meinen Dienstausweis so gründlich untersucht, daß er sich bald in seine Bestandteile auflösen wird. Außerdem gehe ich davon aus, daß Ihnen die Polizei normalerweise nicht die Türen einrennt. Also, bei allem Respekt. Ich will keine Probleme machen, Dr. Farmen, aber das hier ist ungeheuer wichtig.«
»Bitte«, sagte Hermine und trank durch einen Strohhalm Wasser. »Sie hat gesagt, daß es nicht so lange dauern wird.«
Die Ärztin zögerte noch immer. Sie strich der Patientin über die Stirn, schaute ihr in die Augen, musterte die Instrumente am Kopfende des Bettes. Ihre Hände gingen dabei geschickt und routiniert vor. Sie wirkte ehrlich besorgt. Wieder schaute sie Hanne an, der es plötzlich peinlich war, daß ihr Pullover auf der Brust einen Kaffeeflecken aufwies.
»Es ist wichtig«, sagte Hermine. »Ich muß wirklich mit ihr reden.«
»Sie bekommen eine halbe Stunde«, entschied die Ärztin. »Dreißig Minuten.«
Endlich waren sie allein. Hanne schaute verstohlen zur Tür hinüber. Ihre Blase drückte dermaßen, daß ihr das Stillstehen schwerfiel. Obwohl das Zimmer über ein eigenes Badezimmer verfügte, wagte sie nicht, es zu benutzen. Sie wagte auch kaum, den Stuhl vom Fenster zum Bett zu ziehen.
»Sie sind ganz sicher«, sagte sie leise und setzte sich, »daß Ihnen das recht ist?«
»Sie sagen, daß Sie uns für unschuldig halten. Uns alle drei. CC , Mabelle und mich.«
Hermine hielt die Hand und streckte sie Hanne entgegen. Dann ließ sie sie kraftlos sinken, als könne sie einfach zu nichts und niemandem mehr Zutrauen haben.
»Ich bin ganz sicher«, sagte Hanne. »Aber es hängt von Ihnen ab, ob ich die anderen davon überzeugen kann.«
»Ich war so zugedröhnt. Das können Sie sich überhaupt nicht vorstellen.«
»Wann?«
»Als das alles passiert ist. Als ich losgegangen bin, um …«
Wieder versuchte sie, Schleim abzuhusten.
»Hier«, sagte Hanne und hielt ihr Glas und Trinkhalm hin. »Ich glaube, ich stelle Ihnen jetzt einfach ein paar Fragen. Dann sparen wir Zeit. Als erstes muß ich wissen, ob Sie am Donnerstag, dem 19. Dezember, in der Eckersbergs gate waren. Am vergangenen Donnerstag.«
»Ja. Nein. Ich meine, ich war dort, aber es ist nichts passiert. Ich bin nicht hingekommen. Ich meine, ich war nicht bei meinen Eltern, ich …«
Hermine schloß die Augen. Sie sah klein aus in dem riesigen Krankenhausbett. Ihr linkes, halbgeschlossenes Auge war blau und geschwollen. Ihre Lippen waren gesprungen, und in den Mundwinkeln klebte geronnenes Blut.
»Fangen wir mit dem Anfang an, Hermine. Sie wollten also Ihre Eltern besuchen.«
»Ja.«
»Hatten Sie dabei Waffen bei sich?«
Hermine nickte
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