Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
du mir zuhören. Versprichst du mir das? Versprichst du, stillzusitzen?«
Sie nickte, fast unmerklich. Er ließ los und ging vor ihr in die Hocke.
»Haben sie dich verhört?«, fragte er.
Hermine schnitt vor Schmerz heftige Grimassen.
» Haben sie dich verhört?«
» Wie meinst du das?«, quengelte sie. »Ich habe mit ihnen gesprochen. Sie waren hier. Heute nacht. Mit einem Geistlichen und allem, was dazugehört. Presseleute. Die waren draußen. Jede Menge Presseleute. Am Ende mußte ich die Klingel ausschalten. Und das Telefon. Aber warum willst du das alles wissen? Mutter und Vater sind tot, und ich finde, du solltest … ich …«
Jetzt weinte sie wirklich. Große Tränen vermischten sich in ihrem Gesicht mit Schminke und Blutflecken und zerliefen in rosa Streifen.
»Ich kapiere gar nichts mehr«, nuschelte sie und wischte sich mit dem Ärmel Rotz ab. »Ich kapiere überhaupt nichts. Mutter und Vater und … Preben!«
Sie schluchzte und bebte nur noch. Das Toilettenpapier war vom Blut durchweicht, und sie hielt es hilflos von sich weg. Der Bruder legte den Arm um sie. Er drückte sie an sich. Lange, hart.
»Hermine«, sagte er endlich in ihr Ohr. »Das ist entsetzlich. Grauenhaft. Aber wir müssen …«
Seine Stimme schlug in ein nervöses Falsett um, und er schluckte laut, um sie wieder unter Kontrolle zu bringen. Dann richtete er sich mit steifen Bewegungen auf und setzte sich ihr gegenüber aufs Sofa. Er stützte die Arme auf die Knie und versuchte, ihren betrunkenen Blick aufzufangen.
»Wir müssen miteinander reden«, sagte er mit mühsam erkämpfter Ruhe. »Hat die Polizei dich verhört? Oder wollten sie dir nur von den Todes … davon erzählen, was passiert ist?«
»Ich weiß nicht so recht. Sie waren eigentlich total lieb. Echt, sehr … einfühlsam. Sie sind auch nicht lange geblieben. Dann haben sie gefragt, ob ich Gesellschaft haben wollte. Ob du … sie haben gesagt, sie hätten mit dir gesprochen, und ob ich wollte, daß du kommst. Oder sonst jemand. Ob irgendwer kommen sollte.«
»Haben sie dich auch danach gefragt, was passiert ist?«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Na gut. Dann machen wir es ganz einfach. Haben sie dich nur gefragt, ob jemand kommen soll, oder wollten sie noch mehr wissen?«
»Das weiß ich nicht mehr. Das weiß ich nicht mehr, Carl-Christian!«
Der Bruder schlug die Hände vors Gesicht und wiegte sich langsam hin und her.
»Herrgott«, sagte er mit halberstickter Stimme. »Kann das möglich sein? Kann das möglich sein!«
Dann sprang er auf und riß die Jacke an sich, die er aufs Sofa geworfen hatte.
»Nicht mehr trinken«, sagte er. »Hör mit dem Trinken auf. Okay. Ich bin in zwei Stunden wieder da. Dann mußt du einigermaßen nüchtern sein.«
»Ich muß zum Arzt«, jammerte Hermine, von ihrer Hand tropfte jetzt wieder Blut.
»Das geht nicht«, sagte der Bruder energisch. »In diesem Zustand kannst du nicht zum Arzt. Gestern abend sind deine Eltern und dein Bruder ermordet worden, und du hast dich sternhagelvoll laufen lassen. Das tut man einfach nicht.«
»Das tut man einfach nicht«, äffte sie ihn nach. »Das ist das große Credo in dieser Familie. Das tut man einfach nicht! Oh verdammt, das muß doch genäht werden!«
»Du bleibst hier. Ich komme nachher wieder!«
Er ging mit energischen Schritten auf die Haustür zu, sie torkelte hinterher.
»Das tut man einfach nicht«, höhnte sie immer wieder. »Diese Familie interessiert sich doch nur dafür, was man tut und was nicht. Ich hab das alles so satt.«
»Wie schön für dich«, sagte Carl-Christian und legte sich sorgfältig seinen Schal um. »Daß fast niemand mehr davon übrig ist. Von der Familie, meine ich.«
» Schön«, schrie sie so laut, daß der Bruder zusammenfuhr. Sie war nicht mehr Hermine, die liebe, fügsame Schwester, die niemand wirklich ernst nahm. »Ich hab sie ja ohnehin gehaßt. Ich hasse Vater. Und Mutter, die immer nur kriecht und alles überspielt und tut, als wäre nichts passiert. Diese ganze Familie ist doch nur eine hübsche Schale um eine Wirklichkeit, die so schrecklich ist, daß sie das Tageslicht noch nie ertragen hat. Ich bin so …«
Jetzt konnte sie nur noch weinen. Carl-Christian versuchte, ihr den Arm um die Schultern zu legen, steif und hilflos.
»Jetzt ist ja doch alles zu spät.«
Sie zwang sich dazu, ruhiger zu atmen, und richtete sich gerade auf. Sie tauschten einen langen Blick, den beide nicht als erste abwenden wollten. Auch Hermine, deren
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